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 Noch hat die Bundesagentur für Arbeit nach Corona keine Rücklagen für die Kurzarbeit in der nächsten Krise bilden können.

© imago images/Ralph Peters / imago stock&people via www.imago-images.de

Arbeitslosenbeiträge senken?: Besser für die nächste Krise vorsorgen

Der Arbeitsmarkt zeigt sich trotz schwächelnder Konjunktur noch ziemlich stabil. Könnte eine Beitragsenkung helfen, die Wirtschaft anzukurbeln? Ökonomen und Politiker raten aktuell noch davon ab.

In der deutschen Wirtschaft herrscht massiver Personalmangel – das zumindest legen aktuelle Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) nahe. Speziell im Süden der Republik übertreffe die Zahl der offenen Stellen bereits die der Arbeitssuchenden, man komme mittlerweile „von Fachkräfteengpässen zu Arbeitskräfteengpässen“, stellte der Arbeitsmarktexperte Oliver Stettes vom Institut der deutschen Wirtschaft jüngst im Tagesspiegel dazu fest. Klingt das nicht ein wenig nach Vollbeschäftigung, weshalb nun auch die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sinken könnten?

Die Bundesagentur für Arbeit ist da skeptisch. Ihr jüngster Monatsbericht weist zwar ein hohes Beschäftigungsniveau aus – aktuell sind 34,66 Millionen Menschen sozialversichert erwerbstätig, 290.000 mehr als vor einem Jahr. Der Zuwachs jedoch „beruht allein auf Ausländern“, wie es in Bezug auf die Zuwanderung nach Deutschland heißt: „Ihre Zahl hat sich um 362.000 oder 7,4 Prozent auf 5,23 Millionen erhöht.“

Im Umkehrschluss sinkt die Arbeitslosenzahl gerade nicht, im Gegenteil hat die Bundesagentur im Juni einen für die Sommermonate ungewöhnlichen Anstieg um 11.000 auf jetzt 2,55 Millionen vermeldet. „Auf dem Arbeitsmarkt“, so ein Sprecher, „spiegelt sich das derzeit schwierige wirtschaftliche Umfeld.“

Rücklage durch Corona aufgezehrt

Aus Nürnberg kommt deshalb eine klare Empfehlung, wenn es um den gerade im Januar wieder um 0,2 Prozentpunkte erhöhten und nun bei 2,6 Prozent des Bruttolohns liegenden Beitrag zur Arbeitslosenversicherung geht. „Aus unserer Sicht besteht derzeit noch kein Spielraum für Senkungen“, so der Sprecher auf Anfrage des Tagesspiegels: „Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung wurden erst zum Jahresbeginn erhöht - damit können wir nach Corona wieder eine Rücklage für eine mögliche nächste Krise aufbauen.“

2,5
Milliarden Euro soll die Rücklage zum Jahresende laut Arbeitsagentur wieder betragen.

Bis Ende 2019, kurz vor Ausbruch der Pandemie, war ebenfalls mit einem Beitrag von 2,6 Prozent ein Rekordhoch von 25,8 Milliarden Euro angespart worden. Das wurde durch die massive Kurzarbeit aber mehr als aufgezehrt. Das Defizit der Bundesagentur lag in den Coronajahren 2020 und 2021 mit insgesamt 49,1 Milliarden Euro doppelt so hoch.

Eine neue Rücklage konnte bisher nicht aufgebaut werden, so der BA-Sprecher, „sie liegt aktuell noch bei null, weil die Arbeitsagentur immer noch eine ganze Reihe von Menschen in Kurzarbeit unterstützt“. Zum Jahresende rechnet sie aktuell „mit einem Plus von rund 2,5 Milliarden Euro“, für 2024 noch einmal mit derselben Summe. Das hat aus Sicht der Bundesagentur für Arbeit (BA) gerade absoluten Vorrang.

Beim derzeitigen Beitragssatz ist sehr fraglich, ob das Rücklagenziel von rund 25 Milliarden Euro in angemessener Zeit erreicht werden kann.

Enzo Weber, Arbeitsmarktexperte IAB

Die Wissenschaft gibt Ihr Recht. „Für Krisen ist es unabdingbar, dass die BA über ein hinreichendes Finanzpolster verfügt, um die Zusatzausgaben und wegfallenden Einnahmen abfedern zu können“, sagte der IAB-Arbeitsmarktexperte Enzo Weber dem Tagesspiegel: „Das IAB empfiehlt hierfür eine Rücklage von mindestens 0,65 Prozent des BIP.“ Das wären bei Deutschlands Wirtschaftsleistung von 3,87 Billionen Euro im vergangenen Jahr wieder rund 25 Milliarden Euro als Rücklage.

„Sie sollte innerhalb von fünf Jahren wieder aufgebaut werden – deshalb ist eine Beitragssatzsenkung derzeit nicht möglich“, meint Weber, der eigentlich eher eine Erhöhung für nötig hielte: „Beim derzeitigen Beitragssatz ist sehr fraglich, ob das Rücklagenziel in angemessener Zeit erreicht werden kann. Derzeit steigt immerhin die Arbeitslosigkeit.“

FDP will Beiträge perspektivisch senken

Aktuell denkt auch der Gesetzgeber nicht an eine Senkung. Er sehe keinen Spielraum dafür, sagt Martin Rosemann, der arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion: „Die Coronapandemie hat gezeigt, wie notwendig eine ausreichende Krisenrücklage ist – und es kommen durch den Strukturwandel neue Aufgaben auf die Bundesagentur zu, vor allem beim Thema Weiterbildung.“ Außerdem hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) als Sparmaßnahme im jüngsten Haushaltsentwurf 2024 die Betreuung der unter 25-Jährigen von den kommunalen Jobcentern an die Arbeitsagentur ausgelagert. Wer Beitragssenkungen fordere, so Rosemann, habe „den Schuss nicht gehört“.

Die hohen Arbeitskosten kosten uns Wettbewerbsfähigkeit – eine Senkung der Beiträge muss daher auch im Blick bleiben.

Pascal Kober, arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion

Jetzt will das auch die FDP nicht. „Die Rücklage wieder aufzubauen ist wichtig“, meint Rosemanns liberales Pendant Pascal Kober. In der Corona-Rezession habe sich gezeigt, wie die Reserve „erheblich zur sozialen Absicherung der Arbeitnehmer und Stabilisierung der Konjunktur beiträgt“. Doch dürfe man „nicht unterschätzen, dass die hohen Arbeitskosten uns Wettbewerbsfähigkeit kosten, eine Senkung der Beiträge muss daher auch im Blick bleiben“.

Obwohl es dem IAB-Experten Weber zufolge wegen der derzeitigen Arbeitskräfteknappheit „momentan eigentlich nicht nötig ist, die Nachfrage nach Arbeitskräften zusätzlich zu steigern“, plädiert er dennoch für eine Senkung in der Zukunft: „Wenn das Rücklagenziel erreicht ist, sollte der Beitragssatz so weit gesenkt werden, dass im BA-Haushalt keine wesentlichen Überschüsse mehr auftreten.“

Die Liberalen haben dabei den Standort im Sinn. Mit Ausnahme der Pandemie seien die Kosten der Arbeitslosigkeit seit den 2000er-Jahren zurückgegangen, mit den Hartz-IV-Reformen habe sich „die Lage auf dem Arbeitsmarkt von hoher Arbeitslosigkeit zu einem massiven Arbeits- und Fachkräftemangel gewandelt“, so der FDP-Politiker Jens Teutrine gegenüber dem Tagesspiegel: „Deswegen und weil die Steuer- und Abgabenlast in Deutschland insgesamt zu hoch ist, ist es folgerichtig einen Pfad einzuschlagen, bei dem die Abgabenlast beispielsweise in der Arbeitslosenversicherung gesenkt werden kann.“ Dafür brauche es aber „in der Gegenwart einige Strukturreformen – Verwaltungsvereinfachung, Entbürokratisierung, eine effektive Mittelverwendung und kritische Überprüfung bestehender Aufgaben“

Diese Zukunftsüberlegungen der Regierungsfraktionen hält die größte Oppositionspartei für Träumereien. „Natürlich ist es gut, wenn die Bundesagentur für Arbeit Rücklagen bilden kann“, sagt Marc Biadacz, Obmann der Union im Ausschuss Arbeit und Soziales, „aber die Bundesregierung tut gerade alles dafür, dass die Handlungsmöglichkeiten der BA eingeengt werden, um überhaupt Rücklagen zu bilden.“ Teure Ampelvorhaben würde „dazu beitragen, dass die Beiträge in Zukunft eher steigen“.

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