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Viktor Orbán bei einer Parlamentssitzung in Budapest

© Reuters/Bernadett Szabo

Zahltag für Ungarns Staatschef?: Der Schmusekurs mit Putin ist für Orbán zum Risiko geworden

Viktor Orbán tänzelt zwischen der EU und Russland. Der Ukraine-Krieg offenbart jedoch Risse in seiner Strategie und könnte das Ende seiner Machenschaften einläuten.

Ein Gastbeitrag von Zsuzsanna Szelényi

In den letzten Tagen kam es zu einem weiteren Schlagabtausch zwischen Ungarn und der EU. Die europäischen Staats- und Regierungschefs hielten rund 5,8 Milliarden Euro an Finanzmitteln für den Wiederaufbau nach Covid-19 zurück, weil Ungarn seine demokratischen Rechte einbüßt und die Unabhängigkeit der Justiz in Frage stellt.

Diese Entscheidung folgt auf jahrelange Warnungen internationaler zivilgesellschaftlicher Gruppen, darunter Freedom House, vor einem organisierten Vorgehen gegen die Tätigkeit von Oppositionsparteien, Journalisten, Universitäten und Nichtregierungsorganisationen (NROs) in Ungarn.

Wie sind wir in einem EU-Land an diesen Punkt gelangt? Um Antworten zu finden, müssen wir uns die Fidesz-Partei von Viktor Orbán ansehen, die sich seit langem von den Prinzipien losgesagt hat, die sie vertrat, als sie noch als Bund der jungen Demokraten eine Widerstandsbewegung gegen die kommunistische Herrschaft war.

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Als Studentin, die Ende der 1980er Jahre in Budapest lebte und antikommunistischen Tradition aufgewachsen war, fühlte ich mich von dem Versprechen politischer Freiheit angezogen, das der Fidesz verkörperte.

Ich trat begeistert in die Partei ein, wurde innerhalb von sechs Monaten in den Parteivorstand gewählt und trat bei den Wahlen 1990 an der Seite von Orbán an. Das war die erste freie Wahl in Ungarn nach mehr als vier Jahrzehnten kommunistischer Herrschaft. Als die Fidesz zum ersten Mal in die ungarische Nationalversammlung einzog, war sie den Grundsätzen der liberalen Demokratie und einer Politik der Mitte fest verpflichtet.

Liberale Anhänger der Mitte wurden beschimpft

Die Spannungen innerhalb der Partei wurden jedoch schon früh deutlich. Es wurde versucht, die Partei nach rechts zu ziehen, in der Annahme, dass sie dadurch wählbarer würde. Liberale Anhänger der Mitte, die an den Gründungsprinzipien der Partei festhielten, wurden umworben und waren zugleich immer massiver verbalen Angriffen ausgesetzt.

Die Wahl Orbáns zum Fidesz-Parteivorsitzenden im Jahr 1993 markierte einen Wendepunkt. Im selben Jahr wurde der Fidesz in einen weitreichenden Finanzskandal verwickelt, bei dem Hunderte von Millionen ungarischer Forint aus Parteigeldern in Unternehmen investiert wurden, die mit Orbáns Freund und Finanzberater Lajos Simicska verbunden waren.

Diese Episode deckte das finanzielle Fehlverhalten auf, das Teil von Orbáns Regierungsstil werden sollte.

Der Skandal war für Liberale wie mich ein Wendepunkt. Wir gingen, und von da an hatte Orbán freie Hand, die Fidesz umzugestalten. Innerhalb weniger Jahre formte er die Partei im Sinne antikommunistischer, nationalistischer und selbstbewusst christlicher Ideen um.

Orbán hat die demokratischen Institutionen systematisch ausgehöhlt

Jahrzehnte später habe ich miterlebt, wie Orbáns autokratische Verwandlung konservative und neuerdings rechtsradikale Politiker in Europa und darüber hinaus inspirierte.

Während seiner Regierungszeit hat Orbán die demokratischen Institutionen systematisch ausgehöhlt, von der Änderung der Verfassung und der Wahlregeln bis zur Behinderung der Arbeit des demokratischen Staates und der unabhängigen Justiz.

Orbán ist auf der internationalen Bühne ein politisches Chamäleon.

Zsuzsanna Szelényi, Außenpolitik-Expertin und ehemalige ungarische Abgeordnete

Er hat sich die Unterstützung der neuen und loyalen Wirtschaftselite des Landes gesichert, indem er Milliarden von EU-Geldern in ihre Unternehmen fließen ließ. Diese Finanztransfers werden seine Partei für Jahrzehnte an der Macht halten.

Orbán ist auf der internationalen Bühne ein politisches Chamäleon, dem es gelingt, die Beziehungen zu den europäischen Staats- und Regierungschefs so eng zu halten, dass weiterhin EU-Gelder fließen, während er gleichzeitig eine antieuropäische Rhetorik verbreitet und mit den EU-Institutionen aneinandergerät.

Der ungarische Premier pflegt seit vielen Jahren ein nahes Verhältnis zu Wladimir Putin.
Der ungarische Premier pflegt seit vielen Jahren ein nahes Verhältnis zu Wladimir Putin.

© Imago/Itar-Tass/Mikhail Metzel

Seit der illegalen Invasion in der Ukraine hat er sich zum lautstärksten Unterstützer Russlands entwickelt, indem er im Juli einen neuen Gasvertrag mit Russland unterzeichnete und ein Hilfspaket für die Ukraine ablehnte. Seine Annäherung an den Kreml passt zu seiner geopolitischen Analyse, dass die Zeit der westlichen Dominanz vorbei ist.

Während er im Ausland Allianzen mit Wladimir Putin und Xi Jinping geschmiedet hat, hat er im Inland die Geschichte des Landes umgeschrieben, um das Erbe der ungarischen Rolle in den beiden Weltkriegen und der antistalinistischen Revolution von 1956 neu zu gestalten.

Eine permanente Hetzkampagne gegen liberale westliche Organisationen, pro-europäische Oppositionsparteien und kritische Nichtregierungsorganisationen zielt darauf ab, die nationalistische Basis des Fidesz zu radikalisieren.

Hunderte von Milliarden Euro an Sozialleistungen wurden an die ungarischen Haushalte verteilt, um den Rückhalt der Partei zu sichern. Diese Faktoren trugen zu seinem Wahlsieg im April bei.

Freundschaften zu Autokraten auf der ganzen Welt

Doch der Krieg in der Ukraine hat Risse in Orbáns Strategie aufgezeigt. Indem er sich mit Autokraten auf der ganzen Welt anfreundet, hat er sich selbst in die Enge getrieben und eine immer stärkere Radikalisierung herbeigeführt.

Er hat seine Unterstützung für Putin verstärkt, während die Position Russlands in dem Konflikt immer unhaltbarer wird. Seine Entscheidung, sich auf teures russisches Gas zu verlassen, bedroht die Energiesicherheit des Landes, und die Inflation droht außer Kontrolle zu geraten. Gleichzeitig bleibt Ungarn mehr denn je von EU-Geldern abhängig.

Orbáns Missachtung der Rechtsstaatlichkeit und seine Unterstützung für Putin hat die Geduld der EU auf eine harte Probe gestellt. Es ist mit einer langfristigen Auseinandersetzung zwischen der EU und ihrem ersten Autokraten aus dem eigenen Land zu rechnen.

Viele Jahre lang bewegte sich Orbán auf einem schmalen Grat zwischen westlichen Verbündeten und autokratischen Regierungen und kam mit seinen spaltenden Strategien durch. Der Krieg in der Ukraine könnte das Ende seiner Machenschaften einläuten.

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