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EU-Ratspräsident Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen

© Foto: Reuters/Yves Herman

So wird das nichts mit der Weltmacht Europa: Streit zwischen Von der Leyen und Michel schwächt die EU

Die Kommissionspräsidentin und der Ratspräsident sind zerstritten. Als uneiniger Hühnerhaufen aber flößt die EU weder Partnern noch Gegnern Respekt ein.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Wer Europa liebt und sich mehr Einfluss der EU auf die Weltpolitik wünscht, muss oft leiden. Auch jetzt vor dem G20-Gipfel. Alle blicken auf das erste Treffen der Präsidenten Joe Biden und Xi Jinping. Alle reden darüber, dass Wladimir Putin kneift und seinen Außenminister Sergej Lawrow schickt.

Das spiegelt die realen Machtverhältnisse. Von China und den USA hängt es ab, ob die Zukunft im Indopazifik, der aufsteigenden Weltregion, kooperativ oder konfrontativ aussieht.

Russland hat wenig Konstruktives zur Weltpolitik beizutragen. Soweit es Einfluss hat, basiert der schon seit Jahren darauf, dass Moskau mit seinem Destruktionspotenzial droht. Dafür muss Putin nicht nach Bali fahren und riskieren, dass er als Aggressor in der Ukraine wie ein Paria behandelt wird und auf der Anklagebank sitzt. Da bleibt er lieber zu Hause.

Und Europa? Nach der EU fragt bei internationalen Gipfeln selten jemand, allenfalls nach ihrem Geld, wenn es um Hilfsprojekte geht. Sie hat keine „Hard Power“.

Vor Bali hat sich das für EU-Fans schmerzliche Problem ihrer geringen Bedeutung auf der Weltbühne noch verschärft. Sie macht nämlich diesmal von sich reden – aber nicht durch Relevanz für die Gipfel-Themen, sondern durch ihre politische Zerrissenheit.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel vermeiden es, gemeinsam aufzutreten. Sie gehen sich aus dem Weg und signalisieren damit der Welt: Mit Europa braucht niemand zu rechnen. Die EU ist ein politisch uneiniger Hühnerhaufen.

Ihre Vorgänger – Jean-Claude Juncker an der Spitze der Kommission und Donald Tusk an der Spitze des Rats, dem Gremium der Regierungschefs der 27 EU-Staaten – konnten miteinander. Sie bemühten sich, der EU als Machtfaktor Respekt zu verschaffen.

Von der ökonomischen Leistung her müsste die EU die dritte Weltmacht neben den USA und China sein. Diese drei sind mit je rund 20 Prozent Anteil an der Weltwirtschaft die Schwergewichte; danach kommt lange nichts. Sie sind einzeln ökonomisch sieben Mal stärker als Russland.

„Sofagate“: Nur EU-Ratspräsident Michel sitzt beim Türkei-Besuch im April 2021 neben Präsident Erdogan. Kommissionspräsidentin von der Leyen bleibt nur das der nachgeordnete Platz auf einem Sofa am Rand, dem türkischen Außenminister Cavusoglu gegenüber.
„Sofagate“: Nur EU-Ratspräsident Michel sitzt beim Türkei-Besuch im April 2021 neben Präsident Erdogan. Kommissionspräsidentin von der Leyen bleibt nur das der nachgeordnete Platz auf einem Sofa am Rand, dem türkischen Außenminister Cavusoglu gegenüber.

© Foto: dpa/Dario Pignatelli

Doch der EU gelingt es nicht, ihr Wirtschaftspotenzial in Weltmacht umzumünzen. Sie vernachlässigt Militär und Sicherheit. Sie schafft es nicht, einen gemeinsamen Willen der Europäer zu organisieren, auf den Partner sich verlassen könnten und den Gegner fürchten müssten.

Die EU ist nur ökonomisch eine Weltmacht

Gewiss ist es für eine Union von 27 souveränen Ländern schwieriger, geeint aufzutreten als für einen Nationalstaat wie China oder die USA, in dem es nur auf eine Regierung ankommt. Doch umso größer müsste das Bemühen der entscheidenden Figuren an der Spitze sein. Und desto fataler wirkt sich aus, dass von der Leyen und Michel nicht miteinander klarkommen.

International fiel das beim gemeinsamen Türkeibesuch im April 2021 ins Auge. Gastgeber Erdogan hatte nur einen Sessel neben seinem platziert. Den nahm Michel ein. Von der Leyen musste sich auf ein Sofa an der Seite setzen – klar nachgeordnet wie der türkische Außenminister ihr gegenüber. Der Eklat wurde als „Sofagate“ bekannt.

Seither ist von einem Zerwürfnis die Rede. Es kommt kaum noch darauf an, ob die Belege dafür je einzeln stimmen: eine Abkehr von den früher wöchentlichen Treffen von Kommissions- und Ratsspitze; der gegenseitige Ausschluss, wenn Indiens Premier Narendra Modi von der Leyen besucht oder Michel sich mit Chinas Präsident Xi trifft. Mit Dementis lässt sich der Schaden nicht beheben.

Die EU braucht ein demonstrativ einiges Auftreten ihrer höchsten Repräsentanten. Wie will sie sich sonst Respekt verschaffen?

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