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Die Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke im Bundestag, Sahra Wagenknecht, und ihr Mann, Oskar Lafontaine, aufgenommen 2018 in Berlin an der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin.

© Britta Pedersen/dpa

„Reine Lehre“ und Sektierertum : In der Linken gibt es schon immer den Hang zur Selbstzerstörung

Die Linken-Fraktion stimmt für ihre Selbstauflösung. Der Schritt passt in die Geschichte der politischen Linken in Deutschland.

Ein Kommentar von Daniel Friedrich Sturm

In 74 Jahren Bundestag hat es so etwas noch nie gegeben: Freiwillig stimmte die Linke-Fraktion am Dienstag für ihre Selbstauflösung. Der Schritt, zu dem sich die Linken-Abgeordneten entschieden haben, passt in die Geschichte der politischen Linken in Deutschland. Aus der historischen „Spaltung der Arbeiterklasse“ ist eine multiple Spaltung des linken Lagers geworden. Der Graben, nein, die Gräben, innerhalb der Linken in Deutschland sind tief.

Mit den Linken und den ehemaligen Linken fällt die mit Abstand kleinste Fraktion des Bundestages auseinander. Als fraktionslose Abgeordnete oder als Angehörige einer parlamentarischen Gruppe werden die als Linke gewählten Abgeordneten weit weniger Wirkungsmacht entfalten als bisher. Die gut zwei Millionen Wählerinnen und Wähler der Linken müssen sich betrogen vorkommen. Sie dürfen guten Gewissens fragen: „Wer hat uns verraten ...?“

Wer Revolution will, braucht keine Reformen

In der politischen Linken gab es schon immer die Sehnsucht nach dem Wünschbaren, garniert mit Hang zum Sektierertum. Wer nur das Machbare ansteuerte, galt und gilt diesen Linken als visionsloser, ja gewissenloser Technokrat der Macht. Wer eine Revolution will, kann mit der Reform nicht zufrieden sein.

Vielen Linken geht es darum, die reine Lehre zu beschwören, statt recht zu haben, Recht zu bekommen. Das führt zu einer Unerbittlichlichkeit, zu einer Maßlosigkeit, zu einem Selbstzerstörungstrieb, der bei Wählern nur bedingt gut ankommt.

Reallohnverluste, hohe Mieten, mangelnde Durchlässigkeit des Bildungssystems – all das wären Themen für eine politische Linke in Deutschland. Doch in Umfragen liegt die Linke bei schlappen fünf oder weniger Prozent. Infolge der Grabenkämpfe und der Zerstrittenheit wandten sich die Wähler zuletzt ab. Prognosen über das Abschneiden von Sahra Wagenknechts Partei sind unseriös, solange sie nicht gegründet ist, geschweige denn Programm und Köpfe präsentiert hat.

Wer glaubt, dass Sahra Wagenknecht politisch gestalten will, muss im Luftreich der Träume leben. 

Daniel Friedrich Sturm, Chef des Tagesspiegel-Hauptstadtbüros

Wie ernst es Sahra Wagenknecht um politische Verantwortung ist, zeigt ihr jüngster Entschluss, nicht den Vorsitz ihrer Partei anzustreben. Frau Wagenknecht hat sich von der SED und der Führung der kommunistischen Plattform der PDS zu einer Ich-AG gewandelt. Sie schreibt und verkauft Bücher, sitzt in Talkshows. Ausschussarbeit, geschweige denn Bürgersprechstunden, waren ihr schon immer ein Graus. Regiert hat sie noch nie. Nicht ein Gesetz, nicht ein politisch erfolgreiches Projekt geht auf Wagenknecht zurück.

Bisher war Wagenknecht gut darin, einfache Lösungen für komplexe Probleme zu verkaufen – um sodann andere die Arbeit machen zu lassen und sich selbst in ihre saarländische Villa zu schlagen. Wer glaubt, dass Sahra Wagenknecht politisch gestalten will, muss im Luftreich der Träume leben.

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