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Demonstration in Bamberg in der Nähe einer Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge.

© dpa/Nicolas Armer

Lesermeinung: Was erlauben Westen!

Tagesspiegelleser Marcus Franke ordnet die Demokratieentwicklung im Kontext aktueller Debattenkultur ein. Die westlichen Demokratien schneiden dabei nicht sonderlich gut ab.

In der heutigen Welt, insbesondere in der westlichen Welt des Wohlstands und der demokratischen Konstitutionen, wird derzeit viel über Werte und Freiheit geredet. Ist das wirklich so?

Reden wir miteinander? Oder sind es nicht viel mehr aneinander gereihte Behauptungen, wir hätten Freiheit, Demokratie und Menschenrechte nach Innen und Außen etabliert und eine Bedrohung selbiger könne nur durch Menschen entstehen, die diesen Schritt gesellschaftlicher Evolution nicht abgeschlossen hätten. Die Basis jedes demokratischen Handelns ist die Fähigkeit und die Bereitschaft zum Diskurs. Das bedeutet, dass auch sich gegenüber stehende Meinungspositionen bereit sind, dem anderen zuzuhören und sich die Mühe zu machen es zu verstehen. Ein Diskurs wird dann konstruktiv, wenn er den Raum preisgibt, welcher Überzeugung und Konsens, aber auch Kompromiss zulässt. Habermas spricht in diesem Zusammenhang im Rahmen seines deliberativen Demokratiemodells vom „zwanglosen Zwang des besseren Argumentes“.

Kern einer Demokratie muss eine Zivilgesellschaft sein

Eine Demokratie die vergessen oder vielleicht nie gelernt hat Dinge auszuhandeln, ist keine Demokratie; sie ist eine elektorale Herrschaftsform. Es ist eine hohle Form und Illusion von einer Gesellschaft „ruled by the people“. Der Kern einer Demokratie muss eine Zivilgesellschaft sein, die sicherlich nicht homogen sein kann oder sein muss, aber eben insofern auf dem gleichen Level operierend, dass der Diskurs konstruktiv und nicht destruktiv ist.

Ein Diskurs der Destruktivität zerstört jede demokratische Ambition und konterkariert das Label Demokratie, was dann einzig an der Möglichkeit zu Wählen festzumachen wäre, was aber dann nicht mehr, als die freiwillige Abgabe der Macht an relativ unbeeinflusste Akteure ist. Gut bleibt dann, dass diese Wahl in regelmäßigen Abständen überprüft wird, schlecht, dass der Demokratie an sich Resignation gegenüber steht.

Der beanspruchte Wohlstand

Wie sieht aber der Diskurs in den westlichen Staaten aus. Es werden Identitäten und politische Position gegenüber gestellt und man hat das Gefühl, wer am lautesten brüllt, bekommt am Meisten Gehör. Es gilt Privilegien mit dem Messer zwischen den Zähnen zu verteidigen. Wohlstand wird gefährdet gefühlt, aber eine ernsthafte, im Sinne einer dezidierten genauso wie einer vollständigen Diskussion um das Wirtschaftssystem liegt trotzdem in weiter Ferne. So wird der Wohlstand, der mit der 2008 einsetzenden Weltwirtschaftskrise, als eigener Verdienst wahrgenommen und ins Visier der „besorgten“ Bürger rücken Menschen, die es weniger verdient hätten. Dabei wird das Privileg zufälliger Geburt in ein Wohlstandsland mit den damit verbundenen Chancen nicht reflektiert, sondern lediglich beansprucht.

Blick in den Eingangsbereich der Ausstellung "MS Reichtum - Mehr als genug" im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Der zivilisatorische Entwicklungsgrad lässt sich sehr gut am Umgang mit den Schwächeren ablesen und hier schneiden die westlichen „Demokratien“ derzeit alles andere als gut ab, wenn diejenigen, die nicht nur die Wahlergebnisse zunehmend gewinnen, sondern auch Politikinhalte definieren, Akteure sind, die das angesprochene Messer zwischen den Zähnen als demokratische Pflicht des Widerstands verkaufen wollen. Die Le Pens, Wilders, Trumps und Petrys sind diejenigen, die Schwächeren wie Flüchtlingen, aber auch den ökonomischen Verlierern des Kapitalismus, die sich dann eben nicht genug angestrengt hätten und damit selber Schuld oder zu faul oder sonst was seien, keine Hand reichen wollen, sondern diesen unmissverständlich ihren Platz weit weg vom Wohlstand zuweisen.

Der Pranger der Lächerlichkeit

Wer Partei für diese Schwächeren Parteien ergreift und dies mit den Argumenten begründet, woraus sich Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Humanismus speisen, wird an den Pranger der Lächerlichkeit gestellt zu ignorieren was für Barbaren im Kontext Flüchtlinge, da eigentlich kämen.

Nun mag es sogar sein, dass fehlende Privilegien und fehlender Wohlstand, sondern im Gegenteil Unterdrückung und ein täglicher Kampf des Überlebens nicht das Beste im Menschen hervor bringen. Nur was sagt es über eine Aufnahmegesellschaft aus, wenn diese sich selbst nicht zutraut diese Menschen besser zu prägen? Ist es nicht vielmehr so, dass der weiterhin auch in westlichen Staaten unterentwickelte Zivilisationsgrad, dem Pessimismus die einzige Substanz, ab von Vorurteilen und Pauschalisierung gibt, zivilisatorische Defizite nicht auffangen zu können, da man selber nicht nur damit weiterhin beschäftigt ist, sondern im Inbegriff ist, diese Defizite auf Basis von Emotionen und fehlenden Erkenntnissen zu vergrößern.

Solidarität als Konkurrenzprinzip

Wie angesprochen haben es auch die westlichen Gesellschaften nicht gelernt miteinander, statt gegeneinander zu kommunizieren. Solidarität wird weiterhin dem Konkurrenzprinzip und dem eigenen Egoismus untergeordnet. Auch wenn man sich als Gemeinschaft postuliert, zählt im Grunde genommen weiter das individuelle Interesse, ob nun unter Arbeitnehmern bzw. Kollegen, als auch im supranationalen Sinne, wie es die EU in den letzten Jahren eindrucksvoll unter Beweis stellt. Und sich von einem besseren Argument überzeugen zu lassen, ist aktuell keiner wirklich bereit.

Warum sollen Menschen in einer solchen Atmosphäre besser werden als wir es selbst nicht mal sind? Wenn wir selbst nicht in der Lage sind homophobe, sexistische und rassistische Abgründe zu überwinden, sondern im Gegenteil wenn wir irgendetwas gefährdet sehen/fühlen, gerade diese Abgründe erneut offenbaren; warum erwarten wir dies von Menschen deren soziale Prägung ihnen wesentlich weniger Ressourcen bereit stellte sich entsprechend zu entwickeln und zu reflektieren? Ohne Frage wäre Fehlverhalten massiv zu kritisieren, wenn sich im nahen und weiten Umfeld durchweg einwandfrei verhalten würde und es jedem mit gesunden Menschenverstand auffallen müsste; so geht das nicht! Einen derartigen Vorsprung zivilisatorischen Entwicklungsgrades gibt es aber nicht. Das heißt natürlich nicht, dass nun jedes Fehlverhalten unkritisiert bleiben müsste. Aber die Kritik muss insofern richtig eingeordnet werden, dass deutlich wird, sich selbst in keiner Weise überhöhen zu dürfen, denn die westlichen Nationen bieten nicht die Vorbildfunktionen, die sie gerne verkaufen wollen.

Der Autor ist ein User im Forum des Tagesspiegels und firmiert dort unter dem Namen Broeckelhaus. Der Text erschien zunächst auf seinem Blog http://broeckelhaus.blogsport.de.

Marcus Franke

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