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Bundeskanzler Helmut Kohl, seine Gattin Hannelore und die Söhne Walter und Peter laufen im Juni 1981 über eine grüne Wiese am Wolfgangsee. Der Kanzler und seine Familie verbrachten viele Jahre die Sommerferien im österreichischen St. Gilgen am Wolfgangsee.

© dpa/Heinz Wieseler

Jeder freut sich drauf: Warum wir trotz allem gern Ferien machen

Für den Bundestag beginnt die Sommerpause – und auch Nicht-Politiker sehnen sich nach der Ferne. Daran können weder die Schlangen am BER noch der Stau am Brenner etwas ändern.

Ein Kommentar von Bernd Matthies

Selten waren die Voraussetzungen für schlechte Laune so gut wie heute. Die Chaos-Koalition, die Russen, die Inflation, das Klima – und wird’s mal wieder richtig Winter? Oder nein, besser nicht, wer kann sich schon eine Wärmepumpe leisten?

Ja, Corona ist vorbei, aber ist es nicht ein Skandal sondergleichen, dass jetzt drölfzig Millionen Masken vernichtet werden müssen? Auf un-se-re Kosten? Und dann erlauben sich diese Politiker auch noch, Urlaub zu machen!

Zwei Monate Sommerpause hat der Bundestag, und wer in den sozialen Netzwerken unterwegs ist, der findet in drei Millisekunden irgendjemanden, der auch darüber schimpft, können doch weite Teile der Bevölkerung längst nicht so schön Urlaub machen wie die Abgeordneten aus der schwarz-rot-grün-gelben Gesinnungskoalition, manche gar nicht. Und andere antworten, aber voll ironisch: Ist doch gut, dass diese unfähigen Typen mal eine Weile weg sind!

Allerdings möchte auch kaum einer der Meckerer freiwillig Politiker sein, alle ahnen zumindest, dass auch die jetzt nicht acht Wochen lang auf den Malediven abtauchen, dem armutsgefährdeten Wähler zum Hohn. Und es gehen ja nicht nur Politiker in Urlaub, sondern die meisten von uns. Und wen man auch fragt: Alle freuen sich drauf wie irre. Ehrlich!

Dem fiebern alle entgegen

Sie freuen sich auf die Brotzeit an der Kampenwand, auf die Elefanten in der Etosha-Pfanne und die abwegig anstrengende Pilgertour in Norwegen. Sie freuen sich auf die Kreuzfahrt mit Balkonkabine und das Drei-Sterne-Menü in der Provence, und selbst die Staus vor der BER-Security und am Brenner werden fröhlich herbeigesehnt als Zeichen, dass der Urlaub endlich begonnen habe.

Wenn wir mal richtig moralisieren wollen: Das ist skandalös angesichts des Elends in der Welt, verantwortungslos gegenüber unseren Nachfahren, eine Umweltsauerei sowieso, da könnte ja jeder kommen. Aber: So sind wir nun mal. Und wir sind es ganz gern.

Selbst einige unserer Klimakleber sind ja kürzlich dadurch aufgefallen, dass sie vor Gericht fehlten wegen eines Thailand-Aufenthalts, der nicht mal wegen irgendeiner Weltenretterkonferenz zwingend erforderlich war. Wenn das schon denen so geht, dürfen wir wohl von einer menschlichen Konstante sprechen: Dem Willen, sich das jeweilige Leben so schön wie nur möglich zu machen, und der Tatsache, dass Urlaub dabei eine sehr große Rolle spielt.

Das ist nicht erst heute so. Ältere Berliner werden sich daran erinnern, wie es mal war im Kalten Krieg, wenn man nur ins Fichtelgebirge wollte. Drei, vier Stunden Warten an der Grenze, Rumschnüffeln im Gepäck, gönnsevleischt mal n Gofferraum uffmachen? Und niemand hat hinterher gesagt, och nö, das nächste Jahr bleiben wir in der Hasenheide. Wir haben Urlaub gemacht im Sommer nach Tschernobyl, als sich alle irgendwie verstrahlt fühlten und Experten vor Aufenthalten im Freien ohne Alufolie warnten. Wir sind weitergeflogen, als die Bilder vom 11. September sich in unsere Netzhaut eingebrannt hatten, ängstlich, aber doch voller Vorfreude auf fremde Strände.

Urlaub ist nicht mehr das Tal der Ahnungslosen

Die Erkenntnis, dass nach dem Ende der Sowjetunion nicht automatisch auch das Ende der Geschichte kam, war schmerzhaft. Aber wir haben auch sie in unseren kleinen, individuellen Lebens- und Spaßwillen eingebaut und fliegen und fahren immer noch so weit, wie uns Kerosin und Biodiesel tragen und, so Gott will, die Deutsche Bahn.

Heute erst recht, weil Corona einen so enormen emotionalen Urlaubsstau ausgelöst hat, wie ihn keine Autobahnbaustelle hinbekommt, nicht mal eine deutsche.

Komisch, nicht? Nur eines ist anders im heutigen Urlaub: Statt wie früher aus einer drei Tage alten „Bild“ erfahren wir heute in Echtzeit per Internet von allen aktuellen Katastrophen, das strapaziert gegebenenfalls die Nerven, der Urlaub ist nicht mehr das Tal der Ahnungslosen.

Aber so oder so können wir sicher sein, dass auch in den kommenden Wochen irgendwelche Politiker Berlin und Deutschland am Laufen halten werden. Mag sein, dass das Land langfristig dem Untergang geweiht ist, mag sein, dass die Autos auf unseren Straßen bald alle aus Korea und China kommen. Aber was soll’s: Dann fahren wir eben mit denen in Urlaub. Und freuen uns drauf.

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