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Frauen, die von Gewalt betroffen sind, werden zu sehr allein gelassen.

© Foto: IMAGO/Westend61

Gewalt gegen Frauen: Nennt es nicht „Beziehungsdrama“!

Mehr als 115.000 Frauen erfuhren im vergangenen Jahr Gewalt von ihrem Partner. Das ist ein strukturelles Problem - doch echtes Bewusstsein dafür fehlt.

Ein Kommentar von Christina Fleischmann

In Deutschland wurden im vergangenen Jahr 143.604 Menschen Opfer von Gewalt in der Partnerschaft. Die meisten waren – wenig überraschend – Frauen. Wenn in Deutschland also jede Stunde durchschnittlich 13 Frauen Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner erfahren, lässt sich nicht von Einzelfällen sprechen. Dann geht es um Strukturen und Muster.

Um diese zu bekämpfen, ist sehr viel mehr Aufklärung nötig, als sie bislang stattfindet. Das Thema zweimal im Jahr in den Fokus zu stellen – am Frauentag am 8. März und am 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen – reicht nicht aus.

Politiker:innen müssen ihm höhere Priorität einräumen. Es muss darüber geschrieben, gesprochen, diskutiert werden, damit jedem klar wird, was in dieser Gesellschaft nicht akzeptabel ist. Und damit betroffene Frauen sich gesehen fühlen und sich nicht schämen, Hilfe zu suchen.

Dazu braucht es ein anderes Verständnis dieser Gewalt. Kommt es zum Tod einer Frau, was im vergangenen Jahr 113 Mal passierte, werden häufig die Begriffe „Beziehungsdramen“ und „Eifersuchtstaten“ bemüht. Doch das bagatellisiert nicht nur die Verbrechen, bei denen es um Mord und Totschlag geht. Es verkennt auch das Problem, das dahintersteckt.

In unserer vermeintlich aufgeklärten und immer gleichberechtigteren Gesellschaft ist nämlich noch immer ein verqueres Rollenverständnis weit verbreitet. Demnach darf ein Mann Macht über eine Frau ausüben. Patriarchale Anspruchshaltungen gegenüber einer Frau sind offenbar keine Ausnahmen.

Frauenministerin Lisa Paus stellte gemeinsam mit Innenministerin Nancy Faeser die aktuellen Zahlen zur Partnerschaftsgewalt vor.

© Foto: Kay Nietfeld/dpa

Dass es nicht in Ordnung ist, psychische oder körperliche Gewalt gegen Mädchen und Frauen und überhaupt andere Menschen auszuüben, muss eine Selbstverständlichkeit sein. Sie muss schon Kindern von klein auf mitgegeben werden, Mädchen wie Jungen gleichermaßen. Nicht als Wissen, das man lernt, sondern als Haltung, die man annimmt.

Europarat kritisierte Deutschland beim Gewaltschutz für Frauen

Das Perfide an dieser Gewalt in der Partnerschaft ist, dass sie oft im Stillen bleibt, im Privaten. Frauen halten die Gewalt oft über Jahre, sogar Jahrzehnte aus. Wenn sie eskaliert, zur Lebensgefahr wird, sind Frauenhäuser oft die einzigen Zufluchtsorte für die betroffenen Frauen und ihre Kinder.

Doch an Frauenhäusern mangelt es in Deutschland eklatant. Ein Bericht des Europarats rief Deutschland im Oktober dazu auf, mehr Plätze zum Schutz für Frauen zu schaffen. Er kritisierte auch die mangelhafte Umsetzung der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, die seit 2018 in Deutschland gilt.

Ich kämpfe dafür, die Lücken im Netz der Frauenhäuser und Beratungsstellen zu schließen.

Lisa Paus, Ministerin für Frauen und Familie

Gefordert wird eine langfristige Strategie, die von einer nationalen Koordinierungsstelle umgesetzt wird. Eine solche Stelle ist geplant, doch bisher hat keine Bundesregierung es geschafft, sie einzurichten.

„Ich kämpfe dafür, die Lücken im Netz der Frauenhäuser und Beratungsstellen zu schließen“, verspricht die zuständige Ministerin für Frauen und Familie, Lisa Paus. Sie will auch Hilfseinrichtungen verlässlich finanziell absichern.

Es wird Zeit. Denn laut dem Berliner Verein Frauenhauskoordinierung muss jede vierte Frau die Kosten für ihren Aufenthalt teilweise oder vollständig selbst zahlen. Die bürokratischen Hürden bei der Kostenerstattung sind hoch.

Bisher werden die Frauen zu sehr allein gelassen. Das kann eine Koalition des Fortschritts nicht zulassen.

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