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Ukraine: Das Erbe der Revolution

Die Ukraine ist erwachsen geworden. Sie braucht keine Helden mehr

Die Euphorie ist vorbei, die Helden von damals sind entzaubert. Im Dezember 2004 waren mutige Bürger in Kiew auf die Straße gegangen, um gegen eine dreist gefälschte Präsidentenwahl zu protestieren. Der Kandidat des alten Regimes musste gehen, der Held vom Unabhängigkeitsplatz wurde Präsident. Die Welt schaute gebannt auf die Orangene Revolution in der Ukraine. Größer könnte der Kontrast zur Wahl vom Sonntag nicht sein. Ausgerechnet der Mann, der damals durch massive Fälschungen ins Amt gehievt werden sollte und gegen den das orangene Lager erbittert protestierte, liegt nun in der Gunst der Wähler vorn. War die Orangene Revolution also vergebens?

Fünf Jahre danach gibt die Ukraine ein trauriges Bild ab: Das von der Finanzkrise schwer getroffene Land kann sich nur mit westlichen Krediten über Wasser halten, die Währung befindet sich im freien Fall, Korruption lähmt die Wirtschaft. Doch statt diese Probleme anzupacken, hat sich die politische Klasse in einen Machtkampf verstrickt, der von persönlichen Eitelkeiten geprägt ist und längst zur Schlammschlacht geworden ist. In der Ukraine herrscht Katerstimmung, die Menschen sind enttäuscht von den einst umjubelten Politikern.

Doch wofür sind die Bürger eigentlich auf die Straße gegangen? Nicht für Viktor Juschtschenko, nicht für Julia Timoschenko, sondern für freie Wahlen, gegen autoritäre Bevormundung. Damit haben sie – und nicht die Politiker – einen Demokratisierungsprozess angestoßen, der bis heute fortwirkt. Schon zwei Mal gab es in der Ukraine freie, weitgehend faire Parlamentswahlen. Anders als vor sechs Jahren ist auch die Pressefreiheit heute gewährleistet, die Medienlandschaft ist vielfältig (auch wenn in zahlreichen Medienhäusern Oligarchen das Sagen haben). Außerdem beginnt sich die Zivilgesellschaft zu entwickeln, und die Ukraine ist ein weltoffenes Land geworden, dessen Jugend sich an Europa orientiert. Mit Ausnahme der baltischen Staaten, die durch den EU-Beitritt einen Sonderfall darstellen, gibt es kein postsowjetisches Land, das auf dem mühevollen Weg der Demokratisierung so weit gekommen ist: In Russland und Weißrussland, im Südkaukasus und in Zentralasien ist sogar ein gegenläufiger Trend zu beobachten, hin zu Präsidialregimen mit autoritärem Charakter. Wo sonst in dieser Region wäre es vorstellbar, dass ein Präsident sich zur Wiederwahl stellt und mit einem einstelligen Ergebnis abgestraft wird? Die Ukraine ist erwachsen geworden. Sie braucht keine Helden mehr.

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