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Karambolage. Szene aus „volto umano“.

© Dieter Hartwig

Tanz von Toula Limnaiaos: Zurichtung statt Zuneigung

Die Berliner Choreografin Toula Limnaios zeigt ihre Performance „volto umano“.

Von Sandra Luzina

Wie Stapelware liegen sie aufeinander, die in Hosen und Hemden gehüllten Stoffpuppen. Der Turm aus kopflosen Leibern überragt das Geschehen wie ein Menetekel. In ihrer neuen Tanzperformance „volto umano“ (zu deutsch: menschliches Antlitz) prangert Toula Limnaios den Verlust von Humanität an – und findet dafür bedrückende Bilder. Aus einem Spalt ganz unten kriecht eine Tänzerin in hautfarbener Unterwäsche hervor und nähert sich einem Mann, der starr vor Schreck auf einem Stuhl sitzt. Das anfängliche Duett von Karolina Wyrwal und Hironori Sugata gibt in seiner Ruppigkeit den Ton vor. Sie sucht nach Halt, springt ihn an, klammert und rutscht ab und bedrängt ihn erneut. Er versucht sie abzuwehren oder stemmt sie wie ein Brett empor. Das schutzlos wirkende Geschöpf wird zur Klette, zur Heimsuchung. Schließlich verdrängt sie ihn ganz von seinem Platz.

Eine lauernde Gruppe von Tänzern in schwarzen Anzügen verleibt sich den versprengten Mann rasch ein. Mit ihren Hundehalsbändern muten sie fast wie Sexsklaven an. Jeder steht in „volto umano“ mächtig unter Druck, und jeder hat das Zeug, selber zum Unterdrücker zu werden. Die Meute schiebt sich aggressiv in den Raum – die Bewegungen haben oft etwas Verbohrtes und Verkrampftes. Manchmal wirken die Performer auch wie eine Kampftruppe im Trainingslager. Dann rollen, robben, hechten sie über den Boden oder werfen sich in Attacken mit hohen Beinkicks wie beim Karate durch die Luft. Wenn sich Paare zusammenfinden, geht es kaum sanfter zu. In „volto umano“ gibt es keine Zuwendung, nur Zurichtung und Manipulation.

Die Tänzer drücken den Kopf ihres Partners immer wieder nach unten, legen sich mit ihrem ganzen Gewicht ab, drücken ihn nieder, stauchen ihn zusammen. Oder sie trampeln aufeinander herum. Dieses permanente Ziehen und Zerren, Rempeln und Schubsen ist kaum auszuhalten. Man sehnt sich nach einer freundlichen Geste, einer zarten Berührung.

Der Einzelne auf verlorenem Posten

Die Gruppen- und Paaraktionen kontrastiert Toula Limnaios mit emotionalen Solos. Doch der Einzelne steht hier auf verlorenem Posten. Und immer wieder sind Dressurakte zu sehen. Priscilla Fiuza führt die anderen Performer schon mal an der Leine wie ein Rudel Hunde. Später schleift Daniel Afonso sie an den Haaren über die Bühne und trainiert sie, den anderen rabiat zu Leibe zu rücken. Sie tut sich selbst weh, wenn sie den anderen Schmerzen zufügt. Toula Limnaios kennt kein Pardon. Sie lässt die Quälgeister von der Leine. Alle Beziehungen sind hier von Gewalt durchzogen, es gibt keinen Schutzraum mehr vor dem Inhumanen.

Ralf R. Ollertz hat eine Soundcollage mit nervösen Rhythmen komponiert, die auf die Tänzer einprasseln. Kurz ist auch die Stimme von US-Präsident Donald Trump zu hören, wie er den Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko ankündigt. Und natürlich denkt man sofort an Melania, wenn Karolina Wyrwal mit einem Kopfputz aus rosa Federn auftritt.

Sie räkelt sich in lasziven Posen, schmachtet ihren Stöckelschuh an, dabei hockt sie auf der am Boden liegenden Katja Scholz, Eine böse Karikatur. Immer wieder sieht man, wie Menschen einfach plattgemacht werden. Gegen Ende liegen die Tänzer zuckend am Boden, bäumen sich auf. Alle schnüffeln an einer Papiertüte, nur die Droge hält sie aufrecht. Wenn Afonso die Tüte zusammendrückt, sinken sie wie leblos zu Boden. Das letzte Duett tanzt Daniel Afonso mit einer der schlaffen Stoffpuppen, die er herumwirbelt und wie eine Trophäe hochhält.

Toula Limnaios entwirft in „volto umano“ ein düsteres Bild der Gesellschaft. Hier gilt nur mehr das Recht des Stärkeren. Es ist nur konsequent, dass die Choreografin eine so raue, aggressive Bewegungsssprache einsetzt. Manche Szene wirken ein wenig harmlos, doch Toula Limnaios zieht die Damenschrauben an. Mit der Zeit gewinnt das Stück eine beklemmende Intensität. Die Tänzer begeistern mit ihrer Ausdruckswut und ihrer physischen Vehemenz. Ein aufwühlender Abend. Sandra Luzina

Wieder 17.6., 21./22./23./24.6.

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