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SOMMER Spiele (2): WM = 0,125 x SM

Ob Rituale auf Reisen oder ein Hobby in der schönen Jahreszeit: Sommerspiele müssen nicht stets olympisch sein. In den Ferien erzählen wir hier alle paar Tage von einem saisonalen Lieblingszeitvertreib.

Am tollsten sind die Tunnel. Wenn die Burg klebfest genug ist, dann lässt sich mit der Schaufel vorsichtig, vorsichtig ein Tunnel durch die Mitte graben. Heikle Sache, die Umstehenden schließen gern Wetten auf die einsturzgefährdete Spitze ab. Wer sich schließlich bäuchlings neben die Burg legt, um den Durchlass mit Kennerblick zu kontrollieren, der hat das Zeug zum Strandhelden des Tages. Dann kommt die Flut, der Burggraben füllt sich mit salzigem Schlick, das Meer leckt am Fundament – und die Pracht ist dahin.

Sandburgenbauen ist ein großes, flüchtiges Glück. Mehrgenerationenprojekt für heiße Tage, Teamwork mit Kids und Kerlen, Sonnenanbeterinnen und Familientieren jedweder Couleur. Man braucht nur etwas Plastikspielzeug, Eimer, Gießkanne, Schippe, Geduld. Männersache, klar, hier darf der Mann noch Schöpfer sein. Aber in jedem Mann steckt ein Kind und in jeder Frau ein Architekt. Das vollendete Werk, die Hinterlassenschaft, das, was von mir bleibt und sei’s nur für Stunden – diese Sehnsucht kennt kein Alter und kein Geschlecht. Sandburgen sind Luftschlösser für wackere Tagträumer.

Es gibt die Show-Burgenbauer, die erst zur Hochform auflaufen, wenn sie von fachkundigen Besserwissern in Badehosen umringt sind. Es gibt die Pädagogen, die dem Nachwuchs beim Baumeistern gleich noch die Grundzüge von Statik und mittelalterlichen Wallanlagen beibringen. Es gibt die künstlerisch ambitionierten Tröpfeltechniker, die sich in Griechenland an Athosklöstern, in Ägypten an Sphinxen und in Frankreich am MontSaint-Michel versuchen; die Profis heißen Carver, sie veranstalten Wettbewerbe und Festivals mit ihren Skulpturen. Und es gibt die Perfektionisten.

Zum Beispiel Matthew Bennett, Geologieprofessor an der Bournemouth Uni in England. WM = 0,125 x SM lautet seine Formel. Will heißen, die perfekte Burg braucht eine Wasser- und Sandmenge im Verhältnis 1 zu 8. Experten empfehlen zudem tüchtiges Vorabstampfen zur Erhöhung der Materialdichte, unterscheiden zwischen scharfkantigen und rundgewaschenen Sandkörnern – letztere kleben besser – und warnen vor Kieselstränden. Da kann die Traumbucht noch so paradiesisch gelegen sein, das grobe Gemisch frustriert Jung und Alt.

Beim Adria-Abstecher vom Campingurlaub in Kärnten haben wir Kinder uns gern mit Sandmatsch beworfen, ihn ins Meer gefeuert und lauthals „Österreich!“ gerufen. Ein seltsames Geschwisterritual, damals, in den Sechzigern. Ob wir die Alpträume der Eltern da zwischen den Fingern zerbröseln ließen, im Anschluss an ihre Kindheits- und Kriegserinnerungen?

Bisher erschienen in unserer Serie:

Dreischönstesachenbücher (23. Juni)

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