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Kultur: "Wir werden nie wissen, was Raum ist"

Heute stellt die Expertenkommission "Historische Mitte" das Ergebnis ihrer letzten Sitzung vor. Schon vor Weihnachten hatte das Gremium sich auf ein Nutzungskonzept und auf die Rekonstruktion der historischen Kubatur und der barocken Fassaden des Stadtschlosses festgelegt.

Heute stellt die Expertenkommission "Historische Mitte" das Ergebnis ihrer letzten Sitzung vor. Schon vor Weihnachten hatte das Gremium sich auf ein Nutzungskonzept und auf die Rekonstruktion der historischen Kubatur und der barocken Fassaden des Stadtschlosses festgelegt. Die Architekten Axel Schultes und Charlotte Frank, Erbauer des Bundeskanzleramts, hatten im Dezember mit einem Gegenentwurf Furore gemacht, den die FAZ als "Geniestreich" feierte: Schultes und Frank schlagen vor, die barocken Schlossfassaden "umzudrehen" und ein urbanes Forum als Antwort auf den Lustgarten entstehen zu lassen.

Herr Schultes, was stört Sie an der Schloss-Diskussion?

Für Jahrhunderte verstand sich die "Stadt" als Schatzkammer voller Räume, die Moderne machte daraus oft genug ein Warenlager für Objekte. In einem solchen Objekt aus dem Katalog der Historie möchte sich Berlin wiedererkennen. Für ein Bild, für ein Panorama, für eine Postkarte gibt die Stadt die Chance aus der Hand, die Mitte der Mitte in das zu verwandeln, was jede Stadt, die den Namen verdient, in ihrem Kern entwickelt hat: ein Netz dichter öffentlicher Räume. Berlin müsste das tun, woran das Schloss die Stadt 450 Jahre lang gehindert hat: Die dumpfe Hermetik des Schlosses umkehren, aus Masse Raum machen, ein inspirierendes städtisches Gefüge entwickeln. Aber unsere Stadt wird nie wissen, was Raum ist.

Wäre eine Rekonstruktion des Schlosses technisch überhaupt zu bewerkstelligen?

Ach, wissen Sie, dem Ingeniör ist nichts zu schwör. Und über das Elend von Fälschungen ist alles gesagt worden, von Wolfgang Pehnt, von Tilmann Buddensieg bis zu Karl Valentin: "Was ich heute fälsche, ist morgen schon von gestern." Aber das ist eine Meta-Ebene des Diskurses, die nicht mehr durchdringt. Die Sehnsucht nach dem alten Bild und die Angst vor dem Neuen sind übermächtig. Und wenn man keine prinzipielle stadträumliche Kritik an der Berliner Burg hat, keinen Horror vor der antiurbanen Verlassenheit der Resträume, die der Monolith erzwingen wird, kein Bedauern empfindet angesichts der alten Schloss-Schale mit ihren Torlöchern, dann findet man auch Mittel und Wege, bei der Fassade so zu tun "als ob". Das eben ist der Fluch der schlechten Tat: Mit dem alten Schlossplan muss man auch die alte Fassade meinen. Alles andere wäre peinlich.

Sind die von der Kommission vorgeschlagenen Museen und Institutionen überhaupt in einem Schloss-Gebäude unterzubringen?

Kaum. Aber selbst, wenn man den Kasten vollstopft wie eine Weihnachtsgans und noch ein paar Keller dazunimmt - es macht keinen Sinn. Das Museum, die Bibliothek, die Agora - all das will sich doch frei entwickeln, will eigene, charakteristische Räume. Das Schloss als Prokrustes-Bau - wer will das verantworten, wer soll für eine solche halbe Sache das Milliardenspiel in Gang bringen?

Wie beurteilen Sie die Empfehlung der Schlosskommission?

Die so genannte Mehrheitsmeinung der Kommisson ist eine große Enttäuschung. Nicht so sehr das knappe Votum zur Restauration der alten Fassaden - das ist nur konsequent. Das eigentliche Unglück ist das - hier verbiesterte, da gedankenarme - Insistieren auf der Kubatur des Schlosses. Da wird eine Jahrhundertchance aus der Hand gegeben. Und nebenbei, ins Off gesprochen: Jahrelang eine so genannte "Kritische Rekonstruktion" propagieren - und dann am Schluss eine ganz und gar unkritische, eine antiquarische Rekonstruktion durchsetzen wollen, wie geht das zusammen?

Welchen Stellenwert hat für Sie der Abschlussbericht der Kommission?

Wenn dieser Bericht einen hochrangigen, prestigeträchtigen Wettbewerb vorschlägt, die crème de la crème der internationalen Architektenschaft einlädt und dann nichts Besseres weiß, als den Architekten als Erstes ein Denkverbot in die Ausschreibung zu drücken, dann nimmt die Kommission sich selbst die Autorität. Ich bin verblüfft über diese Bigotterie: Wie tief sitzt da die Angst vor der Einbildungskraft der Architekten, die man doch braucht - aber offensichtlich nur als Erfüllungsgehilfen, um das Schloss abzufüllen mit einem Bündel von Nutzungen, die sich nur gegenseitig im Wege sind. Und am Ende wird Berlin mit dem traurigen Märchen abgespeist werden, dass es tragfähige Alternativen zum Schloss nie gegeben hätte.

Sehen Sie nach dem Votum für die Errichtung eines Gebäudes in der alten Kubatur noch eine Chance für Gegenvorschläge?

Ja, natürlich, selbst wenn die Kommission an ihrem Dogma kleben bleibt. Der Wettbewerb - wer weiß wann? - wird sich nicht gegen seine eigene Logik ausschreiben lassen - und auch wir werden unser Konzept weiterentwickelt haben, in altem oder modernem Gewande. Aber lassen Sie mich noch etwas Persönliches anfügen: Noch vor gar nicht langer Zeit galt die Devise: "Im Zweifelsfalle für die Freiheit." Und jetzt sind wir in unserer Möchtegern-Metropole soweit, dass nicht nur die Preisgerichte ihre Vorurteile oktroyieren, jetzt sollen auch die Ausschreibungen selbst jede konzeptionelle Kreativität im Keim ersticken. Eine schöne neue Rekordmarke auf der nach unten offenen Skala Berliner Baukultur!

Herr Schultes[was stört Sie an der Schloss-D]

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