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© dpa/Swen Pförtner

Wiedersehen mit dem Proletariat: Axel Honneth fordert eine neue Politik der Arbeit

Der Sozialphilosoph sucht die Ursachen für die Krise der Demokratie in miesen Jobs.

Von Jan Schroeder

Monotone Tätigkeiten, sogenannte Bullshit-Jobs, die keinen gesellschaftlichen Nutzen erkennen lassen, und die „neue Prekarisierung“ sind Gründe dafür, dass inzwischen von einer „schönen neuen Arbeitswelt“ gesprochen wird. Wer sich im eigenen Job unterordnen muss, der werde, so lautet die zentrale These von Axel Honneth, nicht davon zu überzeugen sein, dass die eigene Stimme im demokratischen Prozess gehört werde.

Bürgerschaftliches Handeln setzt ein gewisses Maß an sozialer Freiheit und Mitbestimmung im Beruf voraus, ohne die sich weder Sinn noch Interesse am Gemeinwohl entwickelten, so der Sozialphilosoph in seinem neuen Buch „Der arbeitende Souverän“. Es gilt also nicht nur: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“ (Brecht). Sondern auch: Ohne ein Mindestmaß an qualitativ guter Arbeit gibt es keine Demokratie.

Defizite, daran lässt Honneths ethische Kritik der gegenwärtigen Arbeitswelt keinen Zweifel, bestehen sowohl bei der Bezahlung wie der Arbeitsteilung insgesamt. Zunehmend würden die Beschäftigten im Job sozial isoliert – man denke an den Trend, Treffen und Dienstreisen durch Videocalls zu ersetzen –, während zugleich die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit durch das Gebot ständiger Erreichbarkeit eingerissen würden.

Mehr Mitbestimmung

Bereits in den 1990er Jahren entwickelte der langjährige Direktor des mit der Frankfurter Schule verknüpften Instituts für Sozialforschung eine Theorie der „Anerkennung“, als deren politisches Kernanliegen mehr betriebliche Mitbestimmung und gesellschaftliche Demokratisierung gilt. Heute wie damals scheint Honneth, der 1949 in Essen geboren wurde und sich bei Jürgen Habermas habilitierte, seine Philosophie als eine Art radikale Ausweitung des bundesdeutschen Wohlfahrtsstaats zu denken. Folgerichtig kritisiert er die Aushöhlung dieses Modells und fordert eine neue Politik der Arbeit.

Orientierung sollen dabei die Normen der Demokratie selbst bieten, von denen jedoch unklar bleibt, welche Kraft sie besitzen. Wer soll den Normen zur politischen Wirklichkeit verhelfen? Warum sollte der „arbeitende Souverän“ von sich aus ausgerechnet den politischen Vorschlägen folgen, die der Sozialphilosoph aus dem demokratischen Anspruch auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit herausdestilliert?

Am ehesten seien „sozialdemokratisch gesinnte Regierungen“ der Adressat, schreibt Honneth, ohne zu verraten, wieso ausgerechnet die Sozialdemokratie, seit der Agenda 2010 Motor der neoliberalen Wende und der „Bürokratisierung der Gewerkschaften“, dazu in der Lage sein soll.

Hitzige Diskussionen

Gegen Honneths These ließe sich auch einwenden, dass die klassischen modernen Demokratiebewegungen im 19. Jahrhundert keineswegs auf faire Arbeitsverhältnisse warteten, sondern der Wunsch nach Demokratie – insbesondere in den „hungrigen“ 1840ern – ein Versuch der arbeitenden Bevölkerung war, die eigenen Lebensverhältnisse in den Griff zu bekommen.

Wenn wie im 19. Jahrhundert ein zwölfstündiger Arbeitstag die Menschen nicht davon abhielt, sich nachts in Salons die Köpfe heiß zu diskutieren, Arbeitervereine zu gründen und gegen die europäischen Monarchen zu konspirieren, warum sollten die Verhältnisse heute dann selbst den Gang zur Wahlurne erschweren? Warum sollte die gegenwärtige Krise der Demokratie primär von den Arbeitsverhältnissen ausgehen, statt sozusagen von der Angebotsseite der Politik, dem Fehlen einer politischen Perspektive und einer Partei etwa, die dem „arbeitenden Souverän“ eine sinnvolle demokratische Politik aufzeigen könnte?

Überhaupt scheint Honneth die Fähigkeit des Souveräns zur Willensbildung zu unterschätzen, wo doch bekannt ist, welchen Anteil das, was man heute am ehesten als Arbeiterschaft bezeichnen könnte, am Brexit, dem Wahlsieg von Donald Trump 2016 sowie den teils durchaus anti-neoliberalen Protesten der Neuen Rechten hatte. Auf knapp 400 Seiten findet sich hierzu kein Wort.

Insbesondere der in den 1980er Jahren von dem linken Sozialtheoretiker André Gorz verkündete „Abschied vom Proletariat“, so Honneth, habe langfristig dazu beigetragen, dass die Belange von Hans Falladas „Kleinem Mann“ vernachlässigt wurden. Obwohl Honneth so selbst die mageren Aussichten für die eigene Perspektive mit dem desolaten Zustand der gesellschaftlichen Linken und dem Fehlen einer positiven Zukunftsvision erklärt, scheinen die politischen Verhältnisse keine Auswirkung auf seine theoretische Konzeption zu haben.

Trotz dieser Schwächen liest sich „Der arbeitende Souverän“ als Plädoyer für einen pragmatischen Neubeginn linker und gewerkschaftlicher Politik. Honneth beweist dabei sein Gespür für die Bedeutung zivilgesellschaftlicher Institutionen und liberaler Normen. In pessimistischen Zeiten unternimmt er den ambitionierten Versuch, eine realistische Utopie für die Gegenwart zu formulieren. In der sonst oft so wenig anregenden öffentlichen Diskussion ist das erfrischend.

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