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Festival: Weimarer Wahnsinn

Der Komponist Erwin Schulhoff starb im KZ und geriet in Vergessenheit. Ein Festival will das ändern.

Etiketten erleichtern das Leben enorm und behindern doch das Denken. Nicht umsonst haben Schubladen etwas von Särgen, in denen das einmal Hineingelegte begraben wird. Der Pianist und Komponist Erwin Schulhoff ist so ein Fall. Er ist heute vor allem der Schublade „Opfer“ zugeordnet, ein von den Nationalsozialisten verfolgter und ermordeter Komponist, dessen Werk unter das Diktum „Entartete Musik“ gefallen war. Seine Mitbewohner in diesem geistigen Getto heißen Gideon Klein, Pavel Haas oder Viktor Ullmann, die in Auschwitz und anderen Lagern umgebracht wurden. Indem man das Leben solcher Künstler vom Ende her denkt, lässt man zu, dass die Nationalsozialisten die Erinnerung an sie weiterhin bestimmen.

Walter Küssner, Bratschist bei den Berliner Philharmonikern, und der Musikhistoriker Misha Aster möchten Schulhoff vom Opferstigma befreien und wieder in den lebendigen Fluss der musikalischen Überlieferung stellen. „Er war ein unfassbar vielfältiger Komponist“, sagt Aster, „sein Bewusstsein für Formen, sein Gespür für ästhetische Veränderungen und Umbrüche war ausgeprägt.“ Deshalb haben beide ein Festival initiiert, das Erwin Schulhoff als „Brückenbauer in die neue Zeit“ am kommenden Wochenende im Kammermusikaal, im Institut Français und im Jüdischen Museum vorstellt.

Die Idee dazu entstand während der Vorstellung von Asters Buch „Das Reichsorchester – Die Berliner Philharmoniker und der Nationalsozialismus“, das 2007 bei Siedler erschienen ist. Damals spielte eine Splittergruppe der Philharmoniker unter anderem Schulhoffs Streichsextett. „Wir waren alle fasziniert von der unglaublichen Vielfalt der Kompositionsstile, die Schulhoff allein in diesem Werk verarbeitet hat“, erzählt Walter Küssner, „und wir waren uns einig, dass wir etwas tun müssen, um diesen Komponisten für das Repertoire zu retten.“

Schon das Prager Milieu, in das Schulhoff 1894 hineingeboren wurde, war geprägt von einer legendären Mischung aus deutschen, jüdischen und tschechischen Einflüssen. Der bekannteste Exponent dieser durch den Nationalsozialismus für immer zerstörten fragilen Welt war Franz Kafka, der wie Schulhoff von Prag nach Berlin ging. Schon mit drei Jahren soll Schulhoff Melodien auf dem Klavier gespielt haben, seine rigorose Mutter schaffte es, Antonin Dvorák ins Haus zu holen, damit er sich den Siebenjährigen anhöre. Auf dessen Empfehlung hin durfte Schulhoff Klavierunterricht am Prager Konservatorium nehmen, begann dort als Zehnjähriger zu studieren und ging später nach Wien, Leipzig und Köln, um seine Studien fortzusetzen. Er bewegte sich in einer musikalisch reichen Welt, die von tschechischen Größen des 19. Jahrhunderts wie Smetana, Janácek, Dvorák geprägt war, aber auch unter dem Einfluss der deutsch-jüdischen Kultur in Prag, der k.u.k.-Tradition, außerdem von Richard Strauss stand, dessen „Salome“ in Prag 1906 erstmals aufgeführt wurde. Sogar der französische Impressionismus spielte als Klangfarbe hinein. Schulhoff war kurzzeitig Schüler von Debussy. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges ging diese Welt unter.

Die eskalierenden Konflikte erschütterten die politische Überzeugung vieler Zeitgenossen, auch die Schulhoffs. Er wurde Sozialist, stürzte sich in den „Weimarer Wahnsinn“ (Misha Aster), ging nach Dresden, lernte Otto Dix und George Grosz kennen, lebte 1922 und 1923 in Berlin, wurde ein Freund der Dada-Bewegung, schrieb eine Komposition, die nur aus Pausen besteht, begann eine Briefkorrespondenz mit Alban Berg.

„Man muss sich das vorstellen“, so Misha Aster, „Hindemith, Ravel, Poulenc – er kannte sie alle, war mit jenen befreundet, die sich teilweise untereinander gar nicht leiden konnten.“ Immer weitere Elemente des europäischen Kunstjazz fanden Eingang in Schulhoffs Kompositionen. Die „Hot Sonate“ für Altsaxophon und Klavier ist heute Schulhoffs bekanntestes Werk – auch deshalb, weil das Repertoire für klassisches Saxophon sehr begrenzt ist. Sie wird auf dem Festival erklingen. Auch eine Oper („Flammen“) schrieb er, nach einem Libretto von Max Brod, die bis heute noch unaufgeführt ist.

Die letzte Phase in Schulhoffs Leben war die künstlerische Hinwendung zum sozialistischen Realismus, die in der Vertonung des Kommunistischen Manifests gipfelte. Doch politisch wurde die Luft für ihn immer dünner. 1939 besetzten die Deutschen Prag. Schulhoff konnte zwar erfolgreich die sowjetische Staatsbürgerschaft erlangen und erhielt am 13. Juni 1941 auch ein Visum für die Ausreise nach Moskau. Doch neun Tage später überfiel die Wehrmacht die Sowjetunion, Schulhoff war jetzt Angehöriger eines Feindeslandes, wurde im bayrischen Lager Wülzburg interniert und starb dort ein Jahr später an Tuberkulose. „Hätte er überlebt, wäre er mit Sicherheit in den sechziger Jahren eine führende Gestalt der Neuen Musik und der Darmstädter Ferienkurse geworden“, ist Ulrich Blobel, dessen Verein Klassikwerkstadt das Festival veranstaltet, überzeugt.

Das Kommunistische Manifest für vier Solostimmen, gemischten Chor, Kinderchor und großes Blasorchester war noch nie in Deutschland zu hören. Am Freitag um 20 Uhr wird es das Festival im Kammermusiksaal eröffnen. Da die Originalpartitur verloren gegangen ist, immerhin aber der Klavierauszug überliefert ist, wird das Werk am Flügel begleitet. „Es ist eine vierteilige Kantate in Bachscher Tradition, aber nonkonformistisch, agitatorisch, lyrisch, dem Text des Manifests unterlegt und diesen grandios verklärend“, sagt der rumänische Dirigent Michael Abramovich, der die Aufführung leiten wird. Seine Hoffnung ist, dass dieses Manifest – wie das gesamte Wochenende – zeigen wird, wie viele Gesichter Schulhoff hatte. Einen Vorteil haben Schubladen gegenüber Särgen: Sie sind nicht zugenagelt.

„Erwin Schulhoff – Brückenbauer in die Neue Zeit“, 22.-24.1., Programm auf www.klassikwerkstatt.de

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