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Christoph Schüchner spielt den Gesellschaftsaufsteiger Leonidas.

© Kleines Theater am Südwestkorso

Theater-Überraschung in Friedenau: Verrat auf Wiener Art

Im "Kleinen Theater" bringt Regisseur Mathias Schönsee Franz Werfels Novelle "Eine blassblaue Frauenhandschrift" auf die Bühne.

Der österreichische Dichter Franz Werfel war mit seinen weltweit übersetzten und teilweise auch verfilmten Romanen und Stücken wie „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ oder „Jacobowski und der Oberst“ einst ein Bestsellerautor. Und seine Liaison mit Alma Mahler-Werfel, der Femme fatale und Künstlermuse, bot kultur-erotischen Klatsch auf allen Ebenen. Doch heute ist der 1945 gestorbene Werfel eher ein Mythos als gegenwärtig gelesen. Nur die Diskussion um den osmanischen Völkermord an den Armeniern bringt auch den Historienroman über den „Musa Dagh“ gelegentlich noch ins Gespräch.

Jetzt aber hat Regisseur Mathias Schönsee im Kleinen Theater am Berliner Südwestkorso eine Novelle inszeniert, die Werfel 1940 im südfranzösischen Exil kurz vor der endgültigen Flucht nach Amerika schrieb. „Eine blassblaue Frauenschrift“ erscheint auf den ersten Blick nur wie ein (zeitkritisches) Ehemelodram in Schnitzlerscher Wiener Tradition. Also Beziehungskiste mit feinem Samt ausgeschlagen wie ein Sarg, darunter dann Disteln und Dornen. Leonidas, genannt Leo hat als Parvenü mit fescher Façon einst die jüngere Amelie geheiratet, aus einem der reichsten Häuser. Selbst ist er so als Spitzenbeamter im Wiener Innenministerium reüssiert, das Paar blieb kinderlos, Amelie ist noch immer in Leo verliebt – und der war ihr selten treu. Doch man hat sich arrangiert. Bis am Frühstückstisch ein Brief an Leo auftaucht, mit jener blassblauen Frauenhandschrift. Und was gerade noch wie eine konventionelle Seitensprungstory aussieht, lockt mit immer neuen Volten in ein durchaus politisches Drama.

Schönsees Bühnenfassung ist klug dramatisiert

Weil Leo seinen Aufstieg (etwas plakativ) dem hinterlassenen Frack eines „israelitischen“ Studienfreundes und Selbstmörders verdankt, wird sofort klar, dass es bei der 1936 in Wien im Schatten des deutschen Nazireichs spielenden Geschichte um Antisemitismus geht. Der Autor, selbst Jude, der Juden hier immer Israeliten nennen lässt (was das Thema zugleich historisiert wie auch pointiert), sorgt indes für Überraschungen.

Ein Karrierist wird fast zum Widerständler und dann zum Opportunisten, aber wie er am Ende alle verrät, Frauen, im Hintergrund auftauchende Kinder und schließlich sich selbst, das hat es in sich. Nur wenige werden sich hier noch an Axel Cortis vor 35 Jahren preisgekrönte Verfilmung erinnern. So weitet sich in Mathias Schönsees klug dramatisierter, mit Musik von Brian Ferry und Henry Purcell untermalter Fassung die alte Geschichte auf minimalistischer Bühne (Wiebke Horn) zum gegenwärtigen Spiel um MeToo und Rassismus. Stark die Frauenrollen von Saskia von Winterfeld und Hannah Ley (die zudem als Zeichnerin auf gläserner Projektionsfläche glänzt), dazu Christoph Schüchner als Leo vor allem nach der Pause ebenso eindrücklich wie der junge Dominik Raneburger als Erzähler und alerter Ministerialsekretär

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