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Kultur: Ungeschoren ins neue Amt gekommen Die NS-Wehrmachtsjustiz und ihr Nachleben

Wolfram Wette, Professor für Neueste Geschichte am Historischen Seminar der Universität Freiburg, der in diesem Jahr bereits mit dem erschütternden Buch „Karl Jäger. Mörder der litauischen Juden“ (Fischer Verlag) in Erscheinung getreten ist, hat nun mit Joachim Perels ein bemerkenswertes Buch herausgegeben.

Wolfram Wette, Professor für Neueste Geschichte am Historischen Seminar der Universität Freiburg, der in diesem Jahr bereits mit dem erschütternden Buch „Karl Jäger. Mörder der litauischen Juden“ (Fischer Verlag) in Erscheinung getreten ist, hat nun mit Joachim Perels ein bemerkenswertes Buch herausgegeben. Es befasst sich im Wesentlichen mit drei miteinander verbundenen Fragen: „Die Rolle der Militärjustiz in der NS-Diktatur, den Umgang mit ihr in der Bundesrepublik und der Rolle früherer Wehrmachtsjuristen in der Nachkriegsperiode Westdeutschlands, verbunden mit einem kurzen Blick auf die DDR.“ So die beiden Herausgeber in ihrer instruktiven Einleitung des Buches, das 22 weitere Beiträge verschiedener Autoren und einen ausführlichen wissenschaftlichen Anhang sowie einen Bildteil umfasst. Auch über die Autoren wird man ausführlich informiert, wobei man allerdings ausgerechnet den Mitherausgeber Perels, einen emeritierten Professor für Politikwissenschaften aus Hannover, vergessen hat.

Unter den Autoren befinden sich Manfred Messerschmidt und Norbert Haase, die – ebenso wie Fritz Wüllner – zu den Veteranen der Forschung über die Wehrmachtsjustiz gehören, die erst vor zwanzig Jahren begonnen hat. Die Beiträge sind sechs Kapiteln zugeordnet: „Gescheiterte justizielle Verfolgung der Wehrmachtsrichter und Gerichtsherren“, „Wehrmachtsrichter und ihre Opfer“, „Selbstrechtfertigungen und Freisprüche in eigener Sache“, „Nachkriegskarrieren von Wehrmachtsjuristen“, „Zum Wirken von Wehrmachtsrichtern in der Bundesrepublik“, „Der lange Kampf der Justizopfer um ihre Würde“ und „Liebäugeln mit einer neuen Militärjustiz?“. Die Vielzahl der Blickwinkel auf die behandelte Thematik ermöglicht dem Leser ein tiefgründiges Verständnis, wobei gelegentliche Wiederholungen allerdings unvermeidlich sind.

Nach der Lektüre darf man diese Anthologie in die seltene Kategorie der Bücher einordnen, die mehr enthalten, als ihr Titel verspricht. Denn es wird dem Leser nicht nur umfassendes Wissen über das Wirken der Militärjuristen des NS-Staates vermittelt, sondern ihm ins Bewusstsein gerückt, dass die strafrechtliche Auseinandersetzung mit dem NS-Unrecht in der Bundesrepublik deshalb von vornherein zu weitgehendem Scheitern verurteilt war, weil fast alle ehemaligen NS-Richter und Staatsanwälte wieder in ihre Ämter zurückgelangten.

Im Unterschied zu ihren im zivilen Bereich tätig gewesenen Kollegen, die sich hinter dem angeblich damals vorherrschenden Rechtspositivismus versteckten – der sozialdemokratische Rechtsphilosoph Gustav Radbruch noch 1932: „Wer Recht durchzusetzen vermag, beweist damit, dass er Recht zu setzen berufen ist“ – oder schamhaft schwiegen, verbreiteten die ehemaligen Wehrmachtsjuristen ungemein erfolgreich die Legende, dass die Wehrmachtsjustiz eine unabhängige und rechtsstaatlich handelnde Gerichtsbarkeit gewesen sei, die sich nicht von den politischen Zielen der Nationalsozialisten habe leiten lassen. Und dies, obgleich von ihr etwa 30 000 Todesurteile verhängt wurden, mehr als das Doppelte aller anderen Strafgerichte. Zwar hielten die Nationalsozialisten bei der Novellierung des Wehrstrafgesetzbuchs an der Regelung fest, dass den Soldaten die politische Betätigung und die Zugehörigkeit zu politischen Vereinen untersagt war, doch führt das Buch den Nachweis, dass die Wehrmachtsjustiz von überzeugten Nationalsozialisten durchsetzt war und auch dementsprechend judizierte.

Dadurch, dass die ehemaligen Wehrmachtsjuristen in der Bundesrepublik nicht nur ungeschoren blieben, sondern sich ihrer früheren Tätigkeit noch lange brüsten konnten, wurde eine Rehabilitierung ihrer Opfer blockiert. Das war die schmerzlichste Folge ihres späteren Agierens, wenngleich man die von den Herausgebern in der Einleitung aufgeworfene Frage, ob die Wehrmachtsjuristen damit den demokratischen Rechtsstaat ausgehöhlt haben, wohl doch verneinen darf.

Der Autor ist Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg.

W. Wette, J. Perels (Hg.): Mit reinem Gewissen. Wehrmachtsrichter in der Bundesrepublik und ihre Opfer. Aufbau Verlag, Berlin 2011. 474 Seiten, 29,99 Euro.

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