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Kultur: „Sie war eine Frau von Haltung“

Die Wandeloper „Lalla Rûkh“, die in Potsdam wiederaufgeführt wird, war Alexandra Fjodorwna, vor ihrer Heirat Charlotte von Preußen, gewidmet – Ein Gespräch mit ihrer Biografin Marianna Butenschön

Frau Butenschön, Alexandra Fjodorowna, die Preußin auf dem Zarenthron, hat bisher wenig Interesse in der Geschichtsschreibung gefunden. Nun haben Sie über die älteste Tochter der Königin Luise eine 400 Seiten umfassende Biografie geschrieben. Warum dieses Interesse?

Vor diesem Buch habe ich eine Geschichte der Ermitage in St. Petersburg veröffentlicht, keine Sammlungsgeschichte, sondern eine Geschichte des Museums, eine Biografie sozusagen. Bauherr der Neuen Ermitage, die 1852 eröffnet wurde, war Nikolaus I., mit dem meine Heldin seit 1817 verheiratet war. Nikolaus war, was wenig bekannt ist, ein sehr kunstinteressierter Mann. Bei den Recherchen in der Bibliothek und im Archiv der Ermitage bin ich zum ersten Mal auf Charlotte von Preußen gestoßen, die in Russland den Namen Alexandra Fjodorowna erhalten hatte.

Warum ausgerechnet im Archiv der Ermitage?

Alexandra ließ sich regelmäßig Bilder aus der Ermitage in ihre Privatgemächer bringen, und dann hat Nikolaus ihr in der Neuen Ermitage einen Ruheraum einrichten lassen. Sie war ja kränklich, aber auch sehr verwöhnt. Hier konnte sie also ausruhen, umgeben von 1500 Objekten aus dem Goldschatz der Skythen, die in den 1830er Jahren in Südrussland gefunden worden waren und in diesem Raum in Vitrinen lagen. Heute wird in diesem Raum übrigens Michelangelos „Kauernder Knabe“ gezeigt. Ja, und dann hatte ich gelesen, dass Alexandra, die ich am liebsten Charlotte nenne, in Russland den Tannenbaum eingeführt hat und den Kindergeburtstag.

Tannenbaum und Kindergeburtstag werden aber kaum den Ausschlag für die intensiven Recherchen für eine solche Biografie gegeben haben.

Natürlich nicht, auch nicht die Tatsache, dass sie den russischen Tourismus an der Côte d’Azur begründet hat. Eigentlich hat mich Nikolaus I. interessiert, ein sehr eigenwilliger und umstrittener Herrscher, über den ich aber nichts wirklich Neues hätte schreiben können. Irgendwann habe ich mich dann gefragt, wie Charlotte es fast vierzig Jahre mit diesem Mann ausgehalten hat!

Ein äußerst interessanter Ansatz.

Kurzum, sie fing an, mich zu reizen, zumal sie in den neueren russischen Nikolaus-Biografien ausführlich vorkommt und in einem erstaunlich positiven Licht erscheint. Aus der Ermitage wußte ich bereits, dass sie Caspar David Friedrich und den Porträtmaler Franz Krüger gefördert hat und eine große Gemäldesammlung besaß. Dann war ich natürlich mehrfach in ihrem Landhaus, dem „Cottage“ im Alexandria-Park in Peterhof, wo man das Gefühl hat, gleich kommt sie um die Ecke und bietet Tee an, ein sehr heimeliger Ort mit vielen Preußen-Reminiszenzen, die man in einem russischen Museum nicht erwartet und die eben an die sehr engen preußisch-russischen Beziehungen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erinnern. Bei uns ist das vergessen. Charlotte war auch vergessen, obwohl sie die Tochter einer berühmten Mutter war. Kurzum, ich sagte mir: Ich mache jetzt mal was ganz anderes und schreibe die Biografie einer unbekannten Kaiserin. Das war für mich als Journalistin auch der Reiz: das Neue und das Vergessene, die Recherche und der Umgang mit einem anderen Genre.

Und Sie haben genug Material für Ihr Buch finden können?

Oh, das kann man wohl sagen! Charlotte selbst hat „Erinnerungen“ an ihre ersten Jahre in Russland hinterlassen, ein Teil ihrer Tagebücher ist auf Russisch veröffentlicht. Friedrich Wilhelm III. hat seine Kinder einmal „schreibselig“ genannt, und das waren sie. Leider ist nur ein kleiner Teil von Charlottes lebenslanger Korrespondenz mit den preußischen Verwandten, aber auch mit Nikolaus veröffentlicht. Hinzu kam die Memoiren- und Tagebuchliteratur der Zeit, wobei die russischen Memoiren, Tagebücher und Archivmaterialien besonders ergiebig waren.

Darüberhinaus, was zeichnete Alexandra aus?

Ich habe zunächst einmal festgestellt, dass sie keineswegs so unbedeutend war, wie sie auch in der russischen Memoirenliteratur manchmal dargestellt wird. Sie war eine Frau von Haltung, sie hatte eine unglaubliche Ausstrahlung und viel gesunden Menschenverstand, und sie besaß die Fähigkeit, Menschen für sich einzunehmen. Das hat mich sehr beeindruckt. Privat war sie eine Frohnatur, und mir scheint, sie war auch witzig. Aber vor allem hat sie es geschafft, mit Nikolaus, der wahrlich kein einfacher Mann war und einen schlechten Ruf als „Gendarm Europas“ hatte, fast 40 Jahre lang eine glückliche Ehe zu führen und beschwichtigend und besänftigend auf ihn einzuwirken. Er war ein sehr impulsiver, autoritärer Mensch.

Sie schreiben: „Auf der politischen Bühne war sie Statistin, hinter den Kulissen einflussreiche Beraterin.“ Hat ihre beschwichtigende und besänftigende Art also auch Einfluss auf politische Entscheidungen von Nikolaus I. gehabt?

Das denke ich schon, obwohl ich kaum schriftlichen Belege dafür finden konnte. Aber Nikolaus hat einmal geschrieben, dass Russland gar nicht wisse, was es Alexandra verdankt. Und an einer anderen Stelle schreibt er, dass er keine wichtige Entscheidung getroffen habe, ohne mit ihr Rücksprache zu halten. Oder nehmen Sie ihre bemerkenswerte Aussage: „Ich habe mein ganzes Leben innigst darum gebetet, dass wir zusammen sterben können, aber wenn einer den anderen überleben sollte, dann wollte lieber ich diejenige sein, die diesen Kummer erleidet. Was wäre denn ohne mich aus ihm geworden?“ Das allein zeigt schon, meine ich, dass sie enormen Einfluss auf ihren Mann hatte, den man zwar nicht an vielen konkreten Beispielen festmachen kann, der aber unbestreitbar vorhanden war.

Alexandra galt auch als wichtigste Stütze der preußischen Politik in St. Petersburg.

Ja, die preußischen Gesandten und Militärattachés gehörten immer zu ihrer engsten Umgebung. Mit denen hat sie sehr offen geredet, und die Inhalte dieser inoffiziellen Gespräche sind nach Berlin gemeldet worden und hatten Wirkung. Man muss sich nur mal vorstellen, wie der Gesandte Bismarck stundenlang bei ihr saß und erzählte, während sie auf ihrer Chaiselongue lag und strickte! Sie stand in regem Briefwechsel mit ihren Brüdern Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm, dem späteren ersten deutschen Kaiser, von denen sie aktuelle politische Informationen aus Deutschland erhielt, und die hat sie natürlich an Nikolaus weitergegeben.

Und umgekehrt? Hat sie auch für Nikolaus in Preußen Einfluss geltend gemacht?

Nikolaus stand der politischen Entwicklung Preußens unter Friedrich Wilhelm IV. seit den Märztagen des Jahres 1848 sehr skeptisch gegenüber, Charlotte übrigens auch, und mehrfach schien es zum Bruch zwischen den Schwägern zu kommen. Da hat sie vermittelt, Wilhelm Ende 1848 allerdings auch ziemlich unverblümt aufgefordert, Friedrich Wilhelm IV. abzulösen. Das würde man heute als Einmischung in die Angelegenheiten eines fremden Staates bezeichnen. Aber im dynastischen Gefüge des 19. Jahrhunderts und bei den engen Verwandtschaftsverhältnissen war das ganz natürlich.

War Alexandra in dieser Rolle eher ein Einzelfall oder waren viele Herrscherfrauen gleichzeitig auch einflussreiche Beraterinnen im Hintergrund?

Sie war wohl eher ein Einzelfall, was auch an der Qualität ihrer Ehe gelegen haben mag. Allgemein bin ich aber überzeugt, dass die Rolle vieler Herrscherfrauen bisher völlig unterbelichtet ist. Was Russland angeht, so wissen wir sehr viel über Katharina die Große, die ihren Mann entthront und selbst geherrscht hat, wir kennen sogar Details ihres Liebeslebens. Aber wir wissen wenig über die Romanow-Frauen des 19. Jahrhunderts, über Maria Fjodorowna, die Frau Pauls I., die praktisch Russlands erste Sozial- und Bildungsministerin war, über Elisabeth Alexejewna, die Frau Alexander I., und über Maria Alexandrowna, die Frau Alexanders II., die Charlottes Schwiegertochter war. Eine Ausnahme ist die jüngere Alexandra Fjodorowna, die Frau Nikolaus II., die einen schlechten Einfluss auf ihren Mann hatte und 1918 mit ihrer ganzen Familie erschossen wurde. Ihr tragisches Schicksal ist sicher der Hauptgrund dafür, dass sie uns recht gut bekannt ist.

Vielleicht wissen wir über diese Herrscherfrauen so wenig, weil sie sich wie Alexandra im Hintergrund hielten? Denn sie waren ja dem traditionellen Frauenbild verhaftet und sahen ihre wichtigste Aufgabe in einem glücklichen Familienleben.

Das stimmt. Diese Rolle hatte sie verinnerlicht und hervorragend gespielt. Ihre Kinder sind gut geraten und die Ehe hat gehalten. Gleichzeitig hat sie diese Rolle als politische Beraterin ihres Mannes gespielt. Aber sie hat im Stillen gewirkt. Ihre Schwiegertochter Maria Alexandrowna kam in den ersten Regierungsjahren Alexanders II. zu den Sitzungen des Staatsrates und alle wussten, dass sie dem Kaiser Ratschläge gab. Das dauerte nicht lange, dann durfte die Kaiserin nicht mehr an den Sitzungen teilnehmen. Da war Charlotte einfach klüger und geschickter.

Ungewöhnlich war ja auch ihre Liebe, obwohl ihre Ehe, wie üblich in solchen Herrscherfamilien, arrangiert war. Sie nannte ihn „Niks“, er sie „Muffi“.

Ja, natürlich, dynastische Ehen wurden damals nicht im Himmel geschlossen, sondern aus politischen Gründen arrangiert. Die Ehe zwischen Charlotte und Nikolaus wurde schon 1809 beim Besuch des preußischen Königspaares in St. Petersburg angesprochen. Da hat Königin Luise bereits mit Kaiserinmutter Maria darüber geredet, dass Lottchen und Nikoscha ein Paar werden sollten, und Friedrich Wilhelm III. hat den Plan nach Luises Tod weiter verfolgt.

Nikolaus war damals zwölf und Charlotte zehn Jahre alt.

Ja, sie waren Kinder, aber königlich-kaiserliche Kinder wurden oft sehr früh verheiratet. Ziel dieser Verbindung war die Festigung der preußisch-russischen Allianz, die während der Befreiungskriege gegen Napoleon auch zur Waffenbrüderschaft wurde. Charlotte und Nikolaus sind sich am 6. März 1814 das erste Mal in Berlin begegnet und es war Liebe auf den ersten Blick. Das klingt kitschig, aber das war so. Die beiden haben sich einfach ineinander verliebt! Und das war ihr großes Glück. Ihre Ehe war eine der wenigen glücklichen monarchischen Ehen überhaupt. Das zeigt auch das hübsche Bild der beiden im Roten Kabinett des Winterpalastes: Sie strickt und er liest. „Häusliche Tugenden auf dem ersten Thron Europas“, wie Alexander von Humboldt schrieb. Deshalb hatte Charlotte ja auch diese Ausstrahlung. Sie ruhte in sich, weil sie glücklich war.

Im Herbst 1820 reisten Alexandra und Nikolaus nach Berlin, wo im Januar 1821 das Festspiel für Musik und Tanz „Lalla Rûkh“ aufgeführt wurde, das jetzt wieder in Potsdam gezeigt wird. Was war der Grund für diese Reise?

Im Juli 1820 hatte Alexandra eine Totgeburt und fühlte sich elend und deprimiert. Sie war auch krank vor Heimweh. Die Reise in Nikolaus’ Begleitung war als Therapie gedacht. Aber sobald sie preußische Luft atmete, ging es ihr besser, sie wurde wieder Charlotte und blühte auf. Die beiden wollten auch den 25. Geburtstag des Kronprinzen mitfeiern. „Lalla Rûkh“ ist dann dem Großfürstenpaar zu Ehren im Königlichen Schloss inszeniert worden, Charlotte und Nikolaus haben die Hauptrollen gespielt und die Aufführung wurde ein großer Erfolg.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Marianna Butenschön spricht über „Leben und Wirken der Prinzessin Charlotte von Preußen“ am kommenden Sonntag, dem 14. August, um 12 Uhr beim Symposion zur Wiederaufführung von „Lalla Rûkh“ im Pfingstberghaus in der Großen Weinmeisterstraße 45a. Ihr Buch „Die Preußin auf dem Zarenthron. Alexandra Kaiserin von Russland“ ist im Piper Verlag erschienen und kostet 22,95 Euro. „Lalla Rûkh“ in der Inszenierung der Höfischen Festspiele Potsdam hat am Donnerstag, dem 18. August, um 18 Uhr an der Villa Quandt Premiere

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