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Martin Böttcher, Berliner DJ und Musikjournalist.

© Frauke Fischer

Neue Pop-Tipps aus Berlin: Spreelectro: Trip durch Seitengebäude der Clubkultur

In unserer Serie "Spreelectro" stellt der DJ und Musikjournalist Martin Böttcher Gutes aus der Hauptstadt vor. Diesmal ist eine Mischung aus Cello, Hip Hop und Techhouse mit dabei. Wie das zusammen passt, lesen Sie hier.

Hommé - Realization For The Ear (Modular Expansion Records)

Klassikfreunde dürfen mich jetzt gerne prügeln, aber ich bleibe dabei: Das Cello ist eins der uncoolsten Instrumente überhaupt. Cellisten erinnern in ihrer Haltung an den berühmt-berüchtigten Affen auf dem Schleifstein und fast alles, was sie ihrem Oskar-Matzerath-Kontrabass an Tönen entlocken, darf meiner Ansicht nach in die Tonne getreten werden. Außer, man macht es so wie Hendrik Vaak und Piotr Piesak, die ihr gemeinsames Projekt „hommé“ nennen. Piesak kommt aus Polen und ist einer dieser Cellisten, Vaak kann man als groß gewordenes Berliner Technokind sehen, das seine ersten musikalischen Gehversuche im Tresor unternommen hat und das seit Jahren als Teil des Techno-Kollektivs „Sender Berlin“ unterwegs ist.

Für ihr erstes Album „Realization For The Ear“ haben sich der Technot und der Cellist in eine kleine Waldhütte in Polen zurückgezogen, um dort gemeinsam Musik aufzunehmen und zu produzieren. Die gute Nachricht: Das Cello ist als solches überhaupt nicht zu erkennen. Dafür umspielen einen sehr luftig wirkende, aber exakt produzierte elektronische Sounds. Tief verwurzelt im Dub-Techno, sorgen die acht Tracks für einen Trip durch Seitengebäude der Clubkultur. Sehr entspannt, sehr gekonnt, sehr wenig Klassik.

Smith & Smart – Anderdogs (Smith & Smart Records)

Sie sind ein klein wenig fehl am Platze hier bei Spreelectro, die Herren Smith & Smart. Denn eigentlich haben sich die beiden Berliner ja dem Hip Hop verschrieben. Und eigentlich dann auch wieder nicht. Denn auf ihrem neuen Album „Anderdogs“ werden nicht nur die Beastie Boys, Seeed und K.I.Z. ausgiebig zitiert, sondern auch jede Menge Sounds aus der Dance- und Clubszene. Aus Electro-Beats und Disco-Rhythmen, R`nB und Reggae, Breaks und jeder Menge Samples aus Film, Funk und Fernsehen bauen Herr Smith und Herr Smart ziemlich dichte Songs. Und sie erzählen dazu aberwitzige Geschichten, die halb gerappt, halb gesungen etwas ziemlich Berlinerisches haben.

Für mich ist das perfekte Musik, um Nicht-Berlinern das Wesen und die Logik dieser Stadt zu erklären: Man wurschtelt sich durch, manchmal sehr gekonnt, manchmal eben einfach so, aber mit viel Witz und Verstand und ohne sich selbst und die anderen allzu ernst zu nehmen. Hauptstadtflughaben erst 2020? Fliegen wir eben bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag von TXL und SFX in die große weite Welt. Und wieder zurück.

Filterwolf – Viva La Rave (Filigran)

Was genau ist das wohl für ein Tier, der Filterwolf? Eines, das einsam an seinen Gerätschaften sitzt und um seine Beute kreist? Wenn dem so sein sollte, dann heißt diese Beute, so vermute ich mal, „Groove & Sound“. Denn auch wenn der Albumtitel anderes verheißt: Die großen Rave-Momente hält der Filterwolf in seinem Maschinenpark zurück, in seinen Tracks geht es – zum Glück - um Stimmung und Atmosphäre. Nein, kein Ambient-Chill-Out-Gewaber, sondern intelligenter Techhouse, der eine eigene Note und jede Menge ungewöhnliche Sounds abseits der Techno-Klischees aufzuweisen hat. Mit bürgerlichem Namen heißt der Filterwolf übrigens Adnan Duric – er ist einer dieser kreativen Tausendsassas: Musikproduzent, Dozent, Filmemacher, Komponist und was sonst noch so ansteht. Eigentlich wohnt er in München, aber zum Teil ist „Viva La Rave“ auch in Berlin entstanden, „zu 60% etwa“, sagt Duric selbst. Denn immer, wenn er hier die anderen kreativen Tausendsassas besucht, die er so kennt (Maler, Tänzer, Freunde) hat er seinen Laptop dabei, auf dem dann seine Stücke entstehen. Das kann man dann auch wirklich hören: „Indigo Summer“ etwa ist eine Hymne, wie man sie sich auch auf Paul Kalkbrenners neuem Album vorstellen könnte. Nur besser.

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