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Der Dirigent Herbert Blomstedt am 22. 9.2023 bei den Berliner Philharmonikern.

© Stephan Rabold

Ode an das Leben: Herbert Blomstedt bei den Berliner Philharmonikern

Der greise Maestro Herbert Blomstedt sorgte einmal mehr für einen elektrisierenden Abend in der Philharmonie, mit Strauss’ „Metamorphosen“ und Beethovens „Eroica“.

Seine Noblesse ist unvergleichlich. Die weichen Legati und dennoch stupende Klarheit, die feinen Gesten, mit denen er schon die „Metamorphosen“ von Richard Strauss modelliert, elegante, zeigefingrige Einsätze gibt, Motive zum Blühen bringt und verdämmern lässt: Herbert Blomstedt, mit 96 der dienstälteste Maestro der Welt, ist wie jedes Jahr bei den Berliner Philharmonikern zu Gast. Diesmal mit einem kurzen Programm, nach Strauss dirigiert er Beethovens „Eroica“, sitzend, ohne Noten und Taktstock.

Wieder nimmt der hagere alte Herr einen sofort gefangen. Seine Gelassenheit, der nichts Abgeklärtes anhaftet, seine Wachheit und Zugewandtheit – die Philharmoniker danken es ihm mit Hingabe, an das Werk wie an Blomstedt. Einmal mehr spielen sie nicht nur für das Publikum, sondern auch für ihn. Ein Abend unter Freunden, man ist beglückt von so viel Einmütigkeit.

Es ist ja nicht einfach mit den „Metamorphosen“, dieser „Studie für 23 Solostreicher“, die Strauss voller Verzweiflung am Ende des Zweiten Weltkriegs schrieb, als Deutschlands Städte und Musiktempel in Trümmern lagen. Während der Zürcher Uraufführung 1946 lief sein Entnazifizierungsverfahren, bei dem der zeitweilige Präsident der Reichsmusikkammer zunächst belastet, wegen seiner Abkehr vom NS-Regime aber schließlich freigesprochen wurde.

Blomstedt steigert die Intensität der sich eng verschlingenden Melodiefäden nur sehr allmählich, dieses zweiflerische, aus der Zeit gefallene, von Selbstmitleid nicht freie Aufbäumen der Spätromantik. Er lässt sich Zeit mit dem transzendierenden Moment, sucht weniger das Philosophisch-Abstrakte des Werks als konkrete Endzeit-Gestalten. Blomstedts Musik ist immer figürlich. Auch das Zitat aus dem Trauermarsch der „Eroica“ im Kontrabass bindet er organisch ein, lässt dennoch die kurzen, wehmütigen Soli im unaufhörlich polyphonen Fluss aufleuchten. Ein Memento, in dem nichts verschwimmt, pulsierend, mit behutsamen Akzenten.    

Seine „Eroica“ wird dann zur Feier der Expressivität. Blomstedt evoziert plastische Bilder - schon die „Metamorphosen“ hatten lebhafte Filmmusik-, ja Western-Assoziationen geweckt. Vor allem das Finale von Beethovens Dritter mit den Variationen aus Beethovens Ballettmusik „Die Geschöpfe des Prometheus“ gestaltet der schwedisch-amerikanische Maestro beredt, theatral, mitunter fast übermütig. Tänzerisch sowieso.

Den Trauermarsch zuvor legt er weniger als Kondukt an denn als Klagegesang, durchsetzt mit sympathisch verhaltenem Pathos. Und das Scherzo, „sempre pianissimo e staccato“ begreift er nicht als Elfentanz, sondern als verschmitzte Ode an das Leben.

Mehr Licht, mehr Sauerstoff, mehr Heiterkeit! Herbert Blomstedt will langsam kürzertreten, sagte er kürzlich, als er in Leipzig die Saison des Leipziger Gewandhausorchesters eröffnete. In der Philharmonie wird er mit prasselndem Applaus begrüßt, als Konzertmeisterin Vineta Sareika-Völkner ihn ans Pult geleitet. Ovationen zum Schluss, Oboist Albrecht Mayer wirft ihm eine Kusshand zu.  

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