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Kultur: No Woogie

MUSIKZIMMER Diedrich Diederichsen kennt ein Mittel gegen Keith Jarretts KölnConcert Es hat keinen Sinn, über Musik zu schreiben, denke ich in skeptischen Stimmungen, es hat wirklich keinen Sinn, wenn sich nicht einmal die grundlegendsten Wahrheiten durchsetzen. Dabei hänge ich natürlich nicht der Hybris an, man könne ganz allein nur kraft besserer Argumente Zeitgenossen davon abhalten, den falschen Tonträgern hinterherzuhören und so in verhängnisvolle Lebensstildesaster hineinzugeraten.

MUSIKZIMMER

Diedrich Diederichsen kennt ein Mittel gegen Keith Jarretts KölnConcert

Es hat keinen Sinn, über Musik zu schreiben, denke ich in skeptischen Stimmungen, es hat wirklich keinen Sinn, wenn sich nicht einmal die grundlegendsten Wahrheiten durchsetzen. Dabei hänge ich natürlich nicht der Hybris an, man könne ganz allein nur kraft besserer Argumente Zeitgenossen davon abhalten, den falschen Tonträgern hinterherzuhören und so in verhängnisvolle Lebensstildesaster hineinzugeraten. Gehofft hatte ich aber in milderen Momenten, dass wenigstens die sehr langsamen, in ihrer Komplexität kaum überschaubaren, systemischen Prozesse der Kulturentwicklung nach und nach den ganzen schweren Unrat aus der Welt schaffen. Wenn man schon nicht den Kreuzzug gewinnt, kann einem doch wenigstens die Geschichte Recht geben.

Aber nein: Noch immer halten sieben von zehn deutschen Musikkritikern – und ich rede von den prominentesten und einflussreichsten, die gar nicht immer die blödesten sind – unerschütterlich der Überzeugung die Treue, Erbauungspianist Keith Jarrett sei ein Genie. In keinem anderen Bereich der Künste könnte dieses Künstlertum, des 19. Jahrhunderts heute noch Eindruck schinden. Es muss auch noch ein Jazzer sein, der diese letzten schwiemeligen Erhabenheitssimulationen über die Erde ergießt und zum Adorno-Jahr noch den abgedroschensten Argumenten gegen Jazz Recht zu geben scheint. Doch den niederschmetternd begeisterten bis religiös wahnsinnigen Berichten über sein Comeback setzte jetzt kurz vor Jahresende eine CD etwas entgegen: Adam Butler, bis dato eher Kennern digitaler Musik unter dem Namen Vert bekannt, nahm sein eigenes Frankfurt-Concert auf, das jetzt unter dem Titel „Schmoozing with the Après Garde“ auf dem Whatness-Label erschien. Dabei hat er einfach das Prinzip eines Keith-Jarrett-Konzertes umgedreht.

An dieser Stelle muss ich etwas zugeben. Auch ich habe Jarrett mal live gesehen. In den späten 70ern in der Hamburger Musikhalle. Die Vorgruppe war das hochanständige Keith Jarrett Quartett mit einem großartigen Dewey Redman an den Saxofonen. Jarrett selbst fütterte ihn lediglich, wie man so sagt, mit Akkorden vom E-Piano. Im zweiten Teil kam er aber dann solo, und es wurde so fürchterlich, wie es bis heute blieb. Wall of heruntergedrücktes-Pedal-Sound. Plötzlich, mitten im Geschwelge, bricht er ab und knallt den Flügeldeckel zu. In Reihe 43 hatte jemand mit Papier geraschelt. Nach einer halben Stunde Geklatsche, Geflenne und Gebettel durch das ergebene Publikum kehrte er zurück. Doch jeder, der schon mal in irgendeiner Lebenslage um Ruhe gebeten hat, weiß, dass gerade durch diese Bitte innere Zwänge entstehen, die Kinder, Nachbarn und Studierende auch gegen ihren besten Willen entfesseln: Auf jeder Beerdigung lacht einer. Auch bei dieser scharrte ein Unglücksrabe mit dem Fuß, und Jarrett ging endgültig und überließ den armen Kerl der Steinigung durch die Kunstfreunde.

Butler traktiert den großen Flügel zum gepflegten und stets laut mithörbaren Gelaber-Sound von Vernissagen. Er löst alle Ambient-Probleme. Weder komponiert er, wie Satie, Musik zum Nichthinhören, die dann paradoxerweise doch so gebaut ist, dass man hinhören muss. Noch produziert er wie Eno einen so schönen statisch-kalten Hintergrund, dass man hinhören muss. Noch spielt er schon fertige „leichte Musik“, die subtil auf die Stimmung der Anwesenden schädlichen Einfluss nimmt, wie ein Hotelpianist, gegen die man sich nur wehren kann, indem man hinhört. Noch versucht er, psychisch Einfluss über unaufdringliche Musik auf uns zu nehmen, wie es im Ashram oder im Supermarkt üblich ist. Er begleitet einfach das gedämpft lebendige Gebrabbel zivilisierter Menschen. Lässt sich von dessen strukturellen Zufällen inspirieren, steuert auch mal ganz zart dagegen und – ja – gibt uns punktuell auch den Jarrett. So mögen wir sogar den, wenn er gezielt dem Partygeplauder folgt, statt von seinen Stimmungen zu erzählen. Die Rückkehr des öffentlichen Pianisten. Wie sagt Olaf Karnik so überaus treffend in seinen Liner Notes: No, Sir, I can’t woogie.

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