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Kultur: Muskeln der Wut

Tamer Yigits Berliner Migrationstheater

Von Sandra Luzina

Tamer Yigit hat zur Premiere sein schwarzes „Böhse-Onkelz“-T-Shirt angezogen. Auf seinen Arm ist tätowiert: „Ich lehne mich auf“ – auf Türkisch. Die Provo-Posen hat er drauf, immer bereit, einen Angriff zu parieren. Mit „Meine Melodie“ (bis 17.1.) hat Tamer Yigit das Festival „Beyond Belonging – Migration 2“ im HAU eröffnet. Das will dem politischen Diskurs über Integration und Migration Positionen von Künstlern entgegensetzen, die aus der dritten Einwanderergeneration stammen. Die, über die verhandelt wird, artikulieren sich jetzt selbst. Entwerfen Gegenbilder zu den Kopftuch-Klischees und Elends-Stereotypen. Ohne sich dabei unbedingt in der Rolle des wütenden „Kanaken“ zu gefallen. Ein ambitioniertes Programm also, das Shermin Langhoff zusammengestellt hat. Sie bietet nicht nur gewiefte Polemiker wie Feridun Zaimoglu auf, sondern geht auch ästhetische Risiken ein, wie jetzt bei Tamer Yigit.

„Meine Melodie“ ist sein erstes abendfüllendes Theaterstück und handelt von seinem eigenen Leben, wovon sonst? Die Schule hat er abgebrochen, er machte bei türkischen Gangs mit, mit 17 Jahren gehörte er zur legendären Band „Islamic Force“, danach spielte er in Filmen von Thomas Arslan mit. Er hat viel erlebt und besitzt street credibility. Was es heißt, in Kreuzberg aufzuwachsen, davon erzäht er, ohne den Ghetto-Mythos zu strapazieren oder in alberne Gangsta-Folklore zu flüchten. Sein Bruder spielt den Jungen, in den die Eltern ihre Hoffnung setzen. Der hochfliegende Pläne hat und sich irgendwann das Träumen untersagt. Weil er erkennen muss, dass er keine Chance hat und zwischen allen Stühlen sitzt. Der sich auflehnt gegen die Eltern, die sich abgefunden haben mit einem Leben der Plackerei. Tamer Yigit belässt es nicht dabei, den trostlosen Alltag zu schildern. Das hinreißende Ensemble demonstriert sein Können nicht nur in fantastischen Breakdance-Szenen. Mit scharfem Witz bringen die sehr jungen Darsteller ihre Zerrissenheit auf den Punkt. Einer der Jungs zeigt stolz seinen muskulösen Körper vor. Liebevoll erzählt Yigit dann vom kaputten Knie der Mutter. Er spart sich alle Schuldzuweisungen, ermutigt uns, genauer hinzuschauen. „Meine Melodie“ ist von entwaffnender Direktheit. Die eine oder andere Provo-Pose darf da schon sein.

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