zum Hauptinhalt
Er verstand sich als bedeutender Politiker: François-René de Chateaubriand (1768–1848).

© dpa/picture-alliance

François-René de Chateaubriand: Memoiren eines französischen Casanovas

Geschichte machen und Geschichte schreiben: François-René de Chateaubriands maßlose „Erinnerungen von jenseits des Grabes“.

Der Staat bin ich – „L’état c’est moi“ – soll Ludwig XIV. einmal gesagt haben. Ähnliches hätte auch der Schriftsteller, Politiker und Amerikareisende François-René de Chateaubriand (1768–1848) sagen können. Etwa: Frankreich, das bin ich! Jedenfalls glaubte er, das Drama seines Lebens sei das Drama Frankreichs gewesen. Damit zielte er auf die Revolution samt dem terreur der Jakobiner, das Zwangsexil der Adligen, das Kaiserreich Napoleons sowie die Restauration der Bourbonen-Herrscher.

All das hat er erlebt, teils aus nächster Nähe, und er war sich der Bedeutung seiner Zeugenschaft bewusst. Bescheidenheit gehörte nicht zu den Stärken des bretonischen Provinzadligen aus Saint-Malo. Aber schon Goethe wusste: „Nur die Lumpe sind bescheiden, Brave freuen sich der Tat.“ Dem ereignisreichen Leben Chateaubriands mangelt es an Taten nicht. „Ich habe Geschichte gemacht und vermochte sie zu schreiben“, heißt es in seinen „Erinnerungen von jenseits des Grabes“, die jetzt in der Übersetzung Sigrid von Massenbachs neu aufgelegt wurden. Damit ist, wenn auch nur in einer Auswahl, einer der wichtigsten französischen Klassiker wieder erhältlich, noch dazu in einer schönen Ausgabe.

Es wäre übertrieben, zu behaupten, bei Chateaubriand handle es sich um einen so bedeutenden Politiker, wie er selbst glaubte, auch wenn er als Minister und Diplomat unter Napoleon und später den Bourbonen Karriere machte. Eine Berühmtheit aber war der Autor von „René“, dem Pendant des „Werther“, schon zu Lebzeiten. „Ich kam in Mode“, schreibt er lakonisch. Dabei wurde es nach seinem Tod Mitte des 19. Jahrhunderts zunächst still um ihn.

Chateaubriand verstand sich als liberal, war aber mitunter reaktionär

Damals läuteten Baudelaire und die Parnassiens die Moderne ein. Doch schon Chateaubriand markiert eine Zäsur, historisch-biografisch, vor allem jedoch literarisch. Nicht umsonst gilt er als Begründer der Romantik jenseits des Rheines – und als Weichensteller für die Moderne. Sicher aber war die französische Literatur nach ihm eine andere, er verpasste ihr einen neuen Ton. Seine Vorläufer waren Voltaire und Rousseau, seine Verehrer und Nachfolger wurden Victor Hugo und Gustave Flaubert. Natürlich schmeckte sein Ton nicht jedem, mancher hasste ihn sogar, etwa Stendhal, der in ihm einen Zerstörer der vorrevolutionären Klarheit sah. Gegen den Rationalismus der Aufklärer setzte Chateaubriand eine poetisierende, das Unendliche anstrebende Sprache der Unschärfe – auch wenn sich darüber streiten lässt, ob es sich bei der einen oder anderen Formulierung noch um Poesie handelt oder nicht eher um eine Stilblüte.

Chateaubriand war kein Avantgardist, sondern eher konservativ, mitunter reaktionär, obwohl er sich als liberal verstand. Stets schwärmte er von den guten alten Zeiten, auch wenn er die Zeit mitnichten anhalten wollte. Den Durchbruch brachte ihm sein Großessay „Der Geist des Christentums“, in dem er die „Schönheiten der christlichen Religion“ besang und erfolgreich für eine Wiedergeburt des Katholizismus warb. In der ersten Fassung waren noch die Erzählungen oder Kurzromane „René“ und „Atala“ enthalten, die zum Erfolg des Werkes maßgeblich beitrugen . Beide Texte führen den Leser in die „Neue Welt“, die Chateaubriand in jungen Jahren bereist hatte. Wie die „Lederstrumpf“-Romane seines Zeitgenossen James Fenimore Cooper erzählen sie von „Indianern“ und idealisieren Rousseaus „edlen Wilden“.

Wer Chateaubriand liest, braucht keine Bonaparte-Biografie mehr

Doch zurück zu den Memoiren: In Hinblick auf ihre Welthaltigkeit lassen sie sich mit denjenigen Casanovas vergleichen – wobei Chateaubriand selbst ein Casanova war, seine Frauengeschichten jedoch weitgehend ausspart. Und er begegnet den Größen seiner Zeit, namentlich Napoleon. Wer Chateaubriand liest, braucht im Grunde keine Bonaparte-Biografie mehr. Das Leben des korsischen Empereurs, seine Feldzüge und ihre Folgen werden detailliert beschrieben – so plastisch wie sonst nur in Tolstois „Krieg und Frieden“.

Sicher entspricht nicht alles der Wahrheit – wenn man darunter allein die detailgetreue Schilderung von Fakten versteht. Chateaubriand übertreibt, spitzt zu, erdichtet und verdichtet. Er tut also das, was die Aufgabe eines Schriftstellers ist – das überzeugend. Es ist höchste Zeit, seine maßlosen „Erinnerungen von jenseits des Grabes“ zu lesen – was jetzt auch dank der sehr viel schlankeren, dafür neu übersetzten Auswahl geht, die Karl-Heinz Ott zusammen mit einem ausführlichen Nachwort unter dem Titel „Kindheit in der Bretagne“ bei Hoffmann und Campe vorgelegt hat.

François-René de Chateaubriand: Erinnerungen von jenseits des Grabes. Aus dem Französischen von Sigrid von Massenbach. Matthes & Seitz, Berlin 2017, 895 Seiten, 38 €.

Tobias Schwartz

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false