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Kultur: Marokko und Mutterkreuz Biografische Spurensuche am Ballhaus Naunynstraße

Die Subventionsagenten haben einen Koffer voll Geld dabei. Und sie machen dem Nachwuchsautor Aydin Bayad ein Angebot, das er nicht ablehnen kann: ein Buch „zum Thema Herkunft“ zu schreiben.

Die Subventionsagenten haben einen Koffer voll Geld dabei. Und sie machen dem Nachwuchsautor Aydin Bayad ein Angebot, das er nicht ablehnen kann: ein Buch „zum Thema Herkunft“ zu schreiben. Schließlich lässt sich literarische Wurzelbehandlung prima vermarkten. Besser als das Werk über Scherenschleifer auf Grönland, das er eigentlich im Sinn hatte. Bayad ist aber auch ein Vorzeigeexemplar von einem Postmigranten! „Ein kurdischer Körper mit einer deutschen Seele. Und schwul.“ Folgsam geht er auf Recherchereise in die eigene Familienhistorie.

Ein schöner, ironischer Einstieg in das Stück „Sag mal, dass wir nicht zu Hause sind“ am Ballhaus Naunynstraße. Es basiert auf dem Buch „Herkunft“ des niederländischen Schriftstellers Rashid Novaire, der darin autobiografische Spurensuche betreibt. Was ihn sowohl zu den Touargas in Marokko als auch zu einer deutschen Urgroßmutter führt, die von den Nazis das Mutterkreuz bekam. Zusammen mit der ostpreußisch-kurdischen Regisseurin Bêrîvan Kaya hat er eine Bühnenfassung destilliert, die wesentliche Motive beibehält. Und andere Passagen mit Erfahrungen Kayas überschreibt. Die Fassung funktioniert glänzend als Geschichts-Science-Fiction mit persönlichen Zügen, mal grotesk, mal poetisch.

Auf der Bühne (Peter Schultze) verhängen weiße Planen das Mobiliar und die Verwandtschaft. Protagonist Aydin Bayad – gespielt von Ismail Deniz – muss sich seinen Erinnerungsweg tastend freikämpfen. Versucht, zum Vater (Ferhat Keskin) durchzudringen, der als Flüchtling nach Deutschland kam und heute mit neuer Frau und Bluthochdruck ringt. Oder zur Oma mütterlicherseits (Vernesa Berbo), die in der Altenheim-Zeitschrift als Bewohnerin des Monats gefeiert wird und hinter der „weißesten Wäsche Brandenburgs“ das Mutterkreuz verbirgt. Hinzuerfunden wurde die Figur eines „Mannes mit blauer Gitarre“ (Elyas Khan), der kommentierend diese Odyssee zwischen Welten und Zeiten begleitet. Die verdichtet sich zu einer so spielerischen wie klugen Reflexion über verschlossene Fotoalben und Patchwork-Biografien mit Erkenntnishintergrund. Patrick Wildermann

wieder am 13. und 14.12., 20 Uhr

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