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Sophia Otto (Leidenschaft), Thomas Feyerabend (Furie), Simon Bode (Amor volubile), Florian Götz (Cattivo genio), Yves Ytier (Laster), Anna Herbst 

© Potsdamer Festspiele/Bayreuth Media

„L’Huomo“ bei den Potsdamer Musikfestspielen: Triumph des Barock

Bogen vom Mythos in die Gegenwart: Die Wiederentdeckung von Andrea Bernasconis „L’Huomo“ unter der Regie von Nils Niemann ist ein Ereignis.

Was ist das wohl? Mit Pauken und Trompeten setzt eine alte Musik ein, gemalte Palmen säumen die goldgefasste Hoftheaterbühne des Neuen Palais im Potsdamer Schlosspark Sanssouci. Menschen wie Figurinen bewegen sich da in Reifröcken oder Märchenmasken, im Hintergrund aber nähert sich als Videoprojektion eine Art funkelnde Galaxie.

Sie gleicht bald einem aus dem All entgegenrasenden Himmelskörper, dessen Rundung und Schattierung auch zu einem Gehirn wird. Zu einer pulsenden Verbindung von Mensch, Materie und Imagination. Während nun ein weiblicher Genius in orientalisch anmutender Pracht die böse Macht behexender, triebhafter Unterwelten zu bekämpfen schwört. Im Namen der von ihr verkörperten Vernunft

Das ist hohe Kunst. Wenn eine Barockoper in den Hirnen und Herzen von heute über zweihundert Jahre hinweg blitzartig Bögen schlägt vom Mythos in die Gegenwart. Wenn einem wie nebenbei aufgeht, dass beispielsweise Amors Pfeile als Teil einer böswilligen Intrige hier ebenso wirken wie K. O.-Tropfen und der Liebesbengel ganz schnell zum Agenten zeitloser Me-Too-Affären und Vergewaltigungsversuche wird. Wenn die Erkenntnis dabei aber von der Bühne nicht modisch aktualisierend aufgedrängt wird, sondern sich ganz aus der poetisch musikalischen Komposition ergibt.

Ganz hohe Kunst

Die Eröffnung der diesjährigen Musikfestspiele Potsdam Sanssouci ist mit der Wiederentdeckung von Andrea Bernasconis „L’Huomo“ derart zu einem Ereignis in mehrfacher Hinsicht geworden. Wilhelmine von Bayreuth, die ins Fränkische verheiratete Schwester Friedrich des Großen, war die eigentliche Autorin und Mitkomponistin dieser aus Oper und Ballett gemischten „Festa teatrale“.

Ursprünglich hat Wilhelmine das Libretto auf Französisch verfasst, es dann für den in München arbeitenden Hofkomponisten Bernasconi ins Italienische übersetzen lassen, wobei aus dem Titel „L’Homme“ der halb lateinische, halb italienische „Huomo“ wurde. Der Mensch – im Kampf zwischen alten Götterwelten und neuzeitlicher Aufklärung.

Im Juni 1754 besuchte Friedrich seine Schwester, die einzige Frau, die der misogyne Preußenkönig jemals geschätzt hat. Die Uraufführung von „L’Huomo“ in dem von Wilhelmine erbauten Markgräflichen Opernhaus von Bayreuth (neben dem Münchner Cuvilliéstheater Deutschlands schönstes Rokokotheater) bedeutete ihre Willkommensgeste. Und glich in manchen Details fast einem revolutionären Gesamtkunstwerk. Trotzdem folgte schon bald das Vergessen der Kulturgeschichte.

In jahrelangen Forschungen wurden nun in Bayreuth die Partiturabschriften sowie Text- und Bühnenbildentwürfe neu gesichtet. Das Ergebnis hat man Anfang Mai in zwei Aufführungen präsentiert – als kunstvoll zwischen Rekonstruktion und neuer Reflexion changierende Inszenierung.

Ein Glücksfall dabei: Die Dirigentin Dorothea Oberlinger, die ihr wunderbares Ensemble 1700 als Orchester mitbringt, ist nicht nur eine ingeniöse, heute mit einem René Jacobs vergleichbare Spezialistin für barocke Musik, sie hat auch als Leiterin der Potsdamer Musikfestspiele den Bayreuther „L’Huomo“ jetzt an den zweiten kulturellen Bezugsort gebracht.

Sinnbild der Hoffnung

Regisseur Nils Niemann und der Bühnen- und Kostümbildner Johannes Ritter zitieren ihrerseits die bis in die Gebärdensprache verfolgte historische Aufführungspraxis, die dann mit den hintergründigen Visualisierungen des Münchner Foto- und Videokünstlers Christoph Brech kontrastiert.

Das von Brech mit digitaler Hilfe einer KI des Brainlabs München evozierte galaktische Hirn aber hat wie sein menschlicher Ursprung zwei Hälften. Man kann darin auch die Zweiteilung von Gut und Böse, die Antinomie von Trieb und Vernunft erkennen. Fast möchte man meinen, dass Dorothee Oberlinger, die ohne Stab ihr klangschönes zwanzigköpfiges Orchester oft aus dem Handgelenk dirigiert, diesen Doppelsinn in einen eigenen Wechsel von Zartheit und Pathos übersetzt, skandiert durch Sekunden des jähen Innehaltens.

Eine Raffinesse, die alle acht Sängerinnen und Sänger jederzeit aufnehmen. Philipp Mathmann ist als männliche Seele Anemone ein Countertenor von hoher Strahlkraft, die gute Geistin der Francesca Benitez setzt kristallklare Koloraturen gleich einer Königin der (morgendämmernden) Nacht. Vollends bezaubernd in ihren Arien und Cavatinen der schmelzende Alt von Alice Lackner und Maria Ladurners weibliche Seele Animia, voll klug gezähmter Kraft Florian Götz als bassbaritonaler Höllenfürst, und mit kleinen komödiantischen Einlagen überrascht Simon Bodes erst etwas flügelschwerer, dann entflügelt immer leichterer doppelgesichtiger Amor.

In seinem Tun steckt auch Wilhelmines Witz. Amors Pfeil trifft zwar den Mann, aber die aufklärerische Preußenprinzessin lenkt ihn ab von der Frau. So ist diese schon vor 200 Jahren ein Sinnbild der Hoffnung. Am Ende Ovationen für ein Juwel, das nach den vier Potsdamer Vorstellungen nicht verschwinden sollte.

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