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Einheimische paradieren in traditionellen Kostümen bei der Eröffnungszeremonie für die Kulturhauptstadt durch Elefsina.

© picture alliance/dpa/AP

Kulturhauptstadt Elefsina : Wo die Mysterien zuhause sind

Elefsina hieß früher Eleusis und ist für seine antiken Kulte berühmt. Seinen Status als Europäische Kulturhaupstadt feiert der Vorort von Athen mit großem Programm.

Einen Superlativ hatte Elefsina bereits bei der Nominierung sicher: Als eine der drei Kulturhauptstädte Europas von 2023 – neben dem ungarischen Veszprém und dem rumänischen Temeswar – ist sie der nach Einwohnerzahl kleinste Ort, der den Titel in dessen nun 38-jähriger Geschichte tragen durfte.

Nur 3.000 Menschen leben in der Hafen- und Industriestadt vor den Toren Athens, das sich 1985 erstmals als – wie es anfangs hieß – „Kulturstadt Europas“ schmücken durfte, eine Verbeugung vor der Wiege der europäischen Zivilisation.

Auf die griechische Antike beruft sich denn auch Elefsina, das einstige Eleusis. Und das mit besserem Recht als bloß demjenigen, eine archäologische Grabungsstätte vorzuweisen; wie viele andere Orte können das ebenfalls. Eleusis war Sitzort der Mysterien, die buchstäblich seit Urzeiten, in diesem Falle seit etwa 1500 v. Chr., gefeiert wurden und dies bis exakt zum Jahr 392 unserer Zeit, als der römische Kaiser sie verbot. Nur drei Jahre später legten die Goten unter Alarich den Tempel in Schutt und Asche, und Eleusis hörte faktisch auf zu bestehen.

Erst im späten 19. Jahrhundert erwachte das bis dahin als Fischerdörfchen durch die Zeiten gekommene Eleusis in nennenswerter Gegenwart und wuchs zu einem Industriezentrum Griechenlands heran. Doch ging diese Epoche wesentlich schneller vorüber als die der Mysterien. Eine eher traurige Berühmtheit erlangte Elefsina zuletzt als Schiffsfriedhof.

Vor der Küste ragen etliche Wracks aus dem Wasser, während in der Nähe Flüssiggastanker ihre begehrte Fracht löschen und weiter draußen Bohrschiffe vor Anker liegen.

Wie Elefsina mit seiner arg fragmentierten Geschichte zur Kulturhauptstadt erkoren wurde, gehört zu den Mysterien neuzeitlicher Politik. Nun ist es jedenfalls so, und am vergangenen Wochenende wurde Eröffnung gefeiert, wobei auf den volksfestartigen Samstag die Stille eines schneeregenverwehten Sonntags folgte.

Eröffnungsspektakel mit Riesenfisch

Der umtriebige, in Europa bestens vernetzte Künstlerische Direktor Michail Marmarinos sprach von den „greifbaren“ und „ungreifbaren“ Hinterlassenschaften, die das Kulturstadtjahr zeitigen solle. Was er damit gemeint haben könnte, mochte der faszinierte Zuschauer beim Eröffnungsspektakel erahnen, als ein Schiffskran einen stählernen Riesenfisch, abwechselnd gelb und rot angestrahlt, aus den Fluten hob, während auf ringsum kreuzenden Barkassen Bläser und via Lautsprecher auch Chöre musizierten.

Apropos Chöre: Die hatten in den antiken Mysterien ihren festen Platz, und in abgewandelter Form werden sie im Jahresprogramm über das antike Marmorpflaster wandeln, bis hin zu dem im Grundriss erhaltene Telesterion, dem Aufbewahrungsort der heiligen Reliquien dieses Kultus um die Fruchtbarkeitsgöttin Demeter. Denn um Tod und Wiedergeburt, um Unterwelt und Rückkehr, um Vergehen und Werden im ewigen Rhythmus der Jahreszeiten geht es bei den Mysterien. 

Was ist dagegen schon das bisschen Industriegeschichte – auch wenn sie den Ort verschandelt hat, der mit den Hinterlassenschaften in Gestalt leer stehender Hallen, überragt von erkalteten Schornsteinen, nun was macht – Kultur natürlich. Heiner Goebbels, der Meister szenischer Konzerte, hat sein Stück „Sieben Säulen“ in eine der Hallen der Alten Ölmühle eingebracht, während nebenan eine Ausstellung Melina Mercouri huldigt, der Filmschauspielerin und als wortmächtige Kulturministerin der 1980er Jahre die Haupterfinderin des Kulturstadtkonzepts.

Über die antiken Ausgrabungen singen, eilen und deklamieren gleichfalls Performances, während im Alten Rathaus eine sehr sorgfältig erarbeitete Ausstellung mit der örtlichen Geschichte von Arbeitsmigration, Lohnkämpfen und sozialem Auf- und Abstieg bekanntmacht.

25 Millionen Euro stehen dem Kulturstadtjahr insgesamt zur Verfügung. Ein knapp 400-seitiges Programmbuch mit sieben Vorworten und Ehrfurcht heischenden Zitaten von Hegel bis Virginia Woolf verzeichnet ein Kaleidoskop von Ereignissen. Direktor Marmarinos hat ein jedes kurzerhand „Mysterium“ benannt und mit einer Nummer versehen, insgesamt sind es über 200.

Der Weg von Athen her ist nicht weit, der der antiken Prozession betrug 21 Kilometer. So weit dürfte es auch heutzutage sein, nur dass die Schnellstraße einen Kurzbesuch von Athen aus möglich macht, was schade wäre, denn das heutige Elefsina steht für Entschleunigung. 

Kulturhauptstadt, das ist im Jahr 2023 vor allem ein Programm nach innen, zur Renovierung und Belebung des jeweilige Austragungsortes, und so ähneln sich die Programme zwangsläufig. Das eleusische Alleinstellungsmerkmal über fast 2000 Jahre, das die streng geheimen und daher bis heute nicht vollends entschlüsselten Mysterien besaßen, gibt es heutzutage nicht mehr. Aber ein Besuch in Elefsina, sobald der Frühling sich ankündigt, dürfte dennoch lohnen, um ein wenig nachzufühlen, was es mit Demeter und ihrer alljährlichen Wiederkehr auf sich hat.

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