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Birgit Rieger

© Tagesspiegel/Nassim Rad

Kolumne Riegers Runde: Reagan und Brandt heben nicht ab

Lustig: Christian Jankowskis „Heavy Weight History“ in der Gruppenausstellung „Points of Resistance“ in der Zionskirche.

Eine Kolumne von Birgit Rieger

In meiner Nachbarschaft liegt die Zionskirche. Sie ist im Moment wegen Renovierung geschlossen. Aber aufgrund einer Ausstellung kann man hinein. Ich bin da, bekomme Tee mit Whiskey kredenzt und steige die Treppen zur Orgelempore hinauf, auf der mir Constanze Kleiner und Stephan von Wiese die Ausstellung „Du weißt, dass du ein Mensch bist @ Points of Resistance V“ zeigen.

Neben einem guten Einblick in die ukrainische Fotoszene, ist dort ein sehr lustiger Beitrag des Berliner Künstlers, Professors, Schlitzohrs Christian Jankowski zu sehen. Seine Arbeit „Heavy Weight History“ kannte ich noch nicht.

Denkmäler nicht einfach umschubsen, sondern kraftvoll schweben lassen

Jankowski hat polnische Gewichtheber-Meister dazu aufgefordert, historische Monumente und Denkmäler in Warschau anzuheben. Es treten an: die stärksten Männer des Landes. Gegen: die schwere Last der Geschichte. „In einer Stadt wie Warschau, die während des Zweiten Weltkriegs fast vollständig zerstört wurde, dienen Denkmäler als Zeichen alter und neuer Identitäten“, heißt es in einer Erklärung zum 25-minütigen Video. Jankowski ist für die künstlerische Aneignung verschiedener TV-Formate bekannt geworden. Für diese Aktion aus dem Jahr 2013 hat er einen polnischen Sportmoderator engagiert, der die Hebe-Versuche kommentiert.

Geschichte, neu angefasst. Christian Jankowskis Video „Heavy Weight History“ in der Zionskirche.

© Christian Jankowski, You Know That You Are Human @ POINTS of RESISTANCE V

Eines der Monumente ist Willy Brandts in Bronze gegossene Entschuldigungsgeste am Mahnmal für den Aufstand im Warschauer Ghetto. Eine massive Backsteinwand mit einem Relief von Brandts Kniefall. Im Dutzend treten sie an mit ihren knappen Gewichtheberanzügen, umstellen die Brandt-Mauer, stecken ihre Finger in die Ritze zwischen Beton und Erdboden, leicht in der Hocke, die Muskeln angespannt. Der Kommentator agitiert: Werden sie es schaffen? Jeder einzelne dieser Gewichtheber-Champions kann schließlich mehrere 100 Kilo stemmen!

Mehrmals versuchen sie es, die Gesichter verzerrt vor Anstrengung. Und doch – nein! Dieser Aspekt der Geschichte scheint zu schwer. Die Figuren vom Denkmal der Waffenbrüder im Stadtteil Praga kriegen sie grade so umgelegt. Ex-US-Präsident Ronald Reagan, dem 2011 ein Denkmal in Warschau gesetzt wurde, stemmt sich eisern in den Boden, beharrlich wie zur Zeit des Eisernen Vorhangs, haha.

Lockerer läuft es bei der steinernen Warschauer Seejungfrau (Syrenka Warszawska), die mit Schwert und Schild in der Altstadt steht. Sie lässt sich, man möchte sagen, leicht wie eine Feder, ein ganzes Stück hochhieven. Aber gelingt das auch mit zwei Männern weniger, ruft der Moderator. Und noch zwei weniger? Jahrmarktsgefühl. Auch so kann man der schweren Last der Geschichte begegnen. Mit Humor. Ich fühle mich leicht, als ich die Kirche verlasse. Und das liegt nicht am Whiskey.

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