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Kultur: Ibsen unter Wasser

Ein

von Rüdiger Schaper

Und da dachten wir immer, wir kennten unsere Puppenheimer! Und nun dieser Fund: Auf einem Bauernhof nördlich von Oslo haben Ibsen-Forscher dieser Tage die Badewanne des Dramatikers entdeckt. Das gute Stück diente fast das ganze 20. Jahrhundert lang glücklichen skandinavischen Kühen als Tränke – und wird nun restauriert. Zu Ibsens 100. Todestag am 23. Mai soll das Requisit aus emailliertem Zink im Osloer Volksmuseum ausgestellt werden. Das wirft Fragen auf. Hat Ibsen, den seine Freunde wegen seiner Badeleidenschaft „Wassermann“ nannten, wie Marat in der Wanne gedichtet? War die „Wildente“ womöglich ein Quietscheentchen? Stieg er mit der „Frau vom Meer“ in die häuslichen Fluten? War der „Baumeister Solness“ ein Wellness-Architekt? Und wie verhält es sich mit dem „Volksfeind“, der bekanntlich Badearzt ist und sich unbeliebt macht, weil er die Wasserverschmutzung anprangert?

Die gesamte Ibsen-Forschung muss umdenken. Selbst das „Gespenster“-Drama harrt nach dem Badewannenfund der Neuinterpretation. War Oswald, der arme, verrückte Junge, als Kind zu heiß gebadet worden? In Thomas Ostermeiers gefeierter „Nora“–Inszenierung der Berliner Schaubühne steht ein großes Aquarium mit Goldfischen, am Ende schwimmt da auch eine Leiche. Ibsen, der Bademeister der Moderne, 1828 in einer südnorwegischen Hafenstadt geboren. Begründer der literarischen „Strömung“ des Naturalismus. Der Mensch, das hatte man vergessen, stammt nicht vom Affen ab, sondern vom Fisch. Das Wasser steigt. Alles strömt. Nie war der mainstream so breit.

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