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Kultur: Gipfelstürmer

Dem DEFA-Filmer Egon Günther zum 80.

Er ist ein Frauenregisseur. Mehr kann man gar nicht werden. Also einer, bei dem die schönsten, bekanntesten Schauspielerinnen einen ganz traumverlorenen Blick bekommen und sagen: Ja, mit dem hätte ich drehen wollen! Oder: Mit dem hätte ich noch viel mehr ... Oder: Schade, dass ich nie ...

Egon Günther gelang das Unmögliche – einen ganzen Film über das Gesicht einer Frau zu erzählen. Das Egon-GüntherGesicht in der DDR wurde Jutta Hoffmann. Wer Filme wie „Der Dritte“ oder „Die Schlüsse“ wiedersieht, muss mit leichten Schwindelgefühlen rechnen, noch heute. Günther scheint die junge Frau von innen und außen zugleich zu sehen. Welche Kamera! Welche Schnitte! Anfang der Siebzigerjahre, im Vor-Handkamera-Zeitalter! Egon Günther, der Sensibelste, der Subjektivste, der Erstaunlichste unter denen, die als DEFA-Regisseure begannen, wird heute 80 Jahre alt.

Arbeiterkind wie er waren andere auch. Noch mit 17 in den Krieg mussten andere auch. Schlosserlehren machten andere auch. Aber ausgerechnet er, der die so erdenschwere Großfilmtechnik wie Schwebegerät zu handhaben scheint, scheint es am allerschwersten gehabt zu haben, überhaupt anfangen zu dürfen. In den frühen Sechzigern schrieb Günther das Szenarium zu „Lots Weib“: Junge Frau will sich scheiden lassen, darf aber nicht, weil ihr Mann bei der Volksmarine ist. Also geht sie klauen. Scheidungsgrund !

Der Szenarist wusste schon beim Schreiben, wer das drehen würde. Ich!, dachte er. Außer ihm dachte das keiner. Einen Probedreh durfte er machen, 40 Minuten, mehr zum Spaß. Es wurde ein großer Ernst daraus, der Lebensernst des Egon Günther. Auch wenn schon der nächste Film über einen schwarzfahrenden Schwan in der Straßenbahn zum Verbotsjahrgang 1965 gehören würde („Wenn Du groß bist, lieber Adam“). Und die Verfilmung des Jugendlebens des ersten Kulturministers der DDR war natürlich auch ein Wagnis. „Was, das soll unser Hans sein?“, soll Lotte Ulbricht ausgerufen haben, als sie den koksenden, kleptomanischen, mordenden Jungdichter Johannes R. Becher in Günthers ebenfalls leicht bekiffter Bildsprache auf der Leinwand sah.

Einer der Hauptverantwortlichen für die sexuelle Revolution Ost im Film heißt Egon Günther, und nur weil er in den Siebzigern neben „Der Dritte“ und „Die Schlüssel“ auch noch zwei Goethe-Filme drehte, brach er diese Revolution keineswegs ab („Lotte in Weimar“ 1975 mit Lilli Palmer und Rolf Ludwig, leicht ornamental). Wirklich problematisch wurde das erst bei „Ursula“, jenem Film über eine sexuell stark motivierte Schweizer Wiedertäufersekte um 1520, eine Koproduktion mit dem Schweizer Fernsehen. Nicht nur die Schweiz, auch die DDR hatte sich die Reformation in den Alpen etwas anders vorgestellt, und Günther beschloss, nicht mehr im geistigen Flachland zu wohnen. Er reiste aus in die Bundesrepublik.

Aber auch hier kann der Mensch nicht frei im kinematografischen Hochgebirge wohnen. Denn die Ebene, auch Fernsehen genannt, ist groß und mächtig. Der Kinoregisseur Günther hat noch manche schönen Fernsehfilme gedreht („Hanna von acht bis acht“, „Lenz“), aber seine Suggestivität ist eben doch nicht ganz mattscheibengerecht. Da ist immer auch Befremden und Bruch. Schade, dass wir Egon Günthers Nietzsche-Film nicht kennen. Er hat ihn nicht gedreht. Niemand (mit Geld) hat ihn gewollt. Es wäre garantiert – Engadin! Sils Maria! – wieder ein Hochgebirgsfilm geworden.

Das Berliner Kino Babylon Mitte zeigt bis 4. April eine Egon-Günther-Retro (www.babylonberlin.de). Am 2. April (23 Uhr) läuft im rbb sein Film „Der Dritte“.

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