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Blick in die HartungAusstellung der Galerie Max Hetzler

© Fondation Hans Hartung et Anna-Eva Bergmann

Federfächer und Maurerkelle: Die Galerie Max Hetzler feiert Hans Hartung

Max Hetzler zeigt die erste umfassende Hans-Hartung-Ausstellung in Deutschland seit 15 Jahren

Von Jens Müller

Ein einziges Mal nur war das Bild vorher öffentlich ausgestellt worden. Jetzt musste dafür extra eine Wand mit einer fenstergroßen Öffnung in die an Wandfläche ja nicht eben armen Galerieräume gezogen werden, die Max Hetzler in der Potsdamer Straße bespielt. Nur so lässt es sich von beiden Seiten betrachten – die nämlich beide bemalt sind.

Das hatte vordergründig einen profanen Anlass: Das Bild ist mit 1945 auf ein Jahr datiert, in dem die Produktion von Leinwänden keine Priorität hatte. Es herrschte Materialknappheit. Künstler wussten sich damals nicht anders zu helfen, als ältere Bilder zu über- oder deren Rückseiten zu bemalen. Trotzdem ist man geneigt, genau dieses Bild als Fanal zu sehen. Die Rückseite zeigt das erste Bild, das Hans Hartung gemalt hat, nachdem ihm, der in der Fremdenlegion für seine Wahlheimat Frankreich und gegen sein Geburtsland Deutschland gekämpft hatte, infolge einer Ende 1944 erlittenen Verwundung das rechte Bein amputiert worden war, erst unterhalb und dann in einer zweiten, ohne jede Narkose durchgeführten Operation, oberhalb des Knies.

Nach dem Krieg dominiert die Farbe Schwarz

Beide Bilder sind abstrakt. Aber auf dem vorderseitigen, bereits im Vorkriegsjahr 1938 gemalten, ist der Hintergrund in hellem Weiß gehalten. Die blauen Kringel und freien Formen darauf hat Hartung in schneller und gestischer Manier ausgeführt, die sein späteres Werk erahnen lässt. Auf der Rückseite von 1945 dominiert die Farbe Schwarz. Den sorgfältig ausgemalten, präzise voneinander getrennten Flächen ist jegliche Beschwingtheit abhanden gekommen: der Weltuntergang, der Schlussstrich, der Tiefpunkt – auch einer Künstlerkarriere. Man tritt Hartung nicht zu nahe, wenn man attestiert, dass beide Seiten an Bilder erinnern, wie sie ein Kandinsky bereits Jahre zuvor gemalt hat. So wie andere Arbeiten seines mäßig erfolgreichen Frühwerks an Expressionismus à la Schmidt-Rottluff oder an Picasso denken lassen. Nach dem Doppelbild legte Hartung den Pinsel für mehrere Jahre beiseite.

Wie Phönix aus der Asche – ist eine Floskel, aber selten passt sie so gut wie auf das sagenhafte Reüssieren des Künstlers nach seiner Malpause. Binnen Kurzem wurde Hartung nun zu einem der wichtigsten Repräsentanten des die Malerei der Nachkriegsjahre in Europa bestimmenden Informel. Sollte also die furchtbare Kriegsverletzung Hartungs seine künstlerische Emanzipation möglicherweise befördert oder vielleicht sogar überhaupt erst ermöglicht haben? Das wäre ein gewiss maximal spekulativer, aber ebenso naheliegender Gedanke. Wie ihn jedenfalls die Hängung in der Schau sehr nachdrücklich nahelegt. Die eine im Grunde recht konservativ kuratierte Überblicksschau ist: mit rund 50 zwischen 1920, da war Hartung gerade mal 16, und 1989, seinem Todesjahr, entstandenen Bildern.

Eine 70 Jahre umfassende Künstlerkarriere

Eine ganze, sieben Jahrzehnte umfassende Künstlerkarriere wird hier von Anfang bis Ende ausgebreitet, die Chronologie nur in zwei abgetrennten Räumen im Obergeschoss einmal unterbrochen. T1989-N10 – die Werke Hartungs sind entweder „untitled“ oder sie tragen sich wie Katalogverzeichnisse lesenden Titel –, das letzte Bild der Ausstellung, in dunklem Braun und noch dunklerem Schwarz, ist tatsächlich das letzte Bild, das Hartung gemalt hat, drei Wochen vor seinem Tod. Auf dem Kunstmarkt, auf Messen war der Schnell- und Vielmaler Hartung immer und ohne Unterbrechung präsent. Bestimmt hat seine große Ausstellung 2019/20 im Pariser Musée d’art moderne das Interesse noch einmal gesteigert. Dass der Berliner Galerist Max Hetzler, der mit seiner Pariser Dependance auch über ein Standbein in Frankreich verfügt, ihn nun zu einer ersten umfassenden Schau seit 15 Jahren nach Deutschland geholt hat, erscheint nur folgerichtig.

Die Ausstellung ist überwiegend aus den Beständen der Fondation Hans Hartung et Anna-Eva Bergmann – Bergmann war Hartungs erste und dritte Ehefrau – bestückt. Thomas Schlesser, dem jungen Direktor der Stiftung, sei es ein Anliegen, dass Hartung auch in seinem Heimatland gesehen werde, teilt die Galerie mit. Die meisten Arbeiten – man darf annehmen, dass T1989-N10 dazugehört – sind nicht verkäuflich; etwas mehr als zehn Werke sind es: zu Preisen zwischen 20.000 und 500.000 Euro. Keine geringe Spanne – aber die Bilder variieren in ihrer Größe eben auch zwischen postkartengroß und mehr als drei Meter breitem Panorama-Format. Sie zeigen das gesamte Schaffen eines Künstlers: von den auf zeittypische Weise expressionistisch-figurativen Anfängen über die einen individuellen Stil allenfalls andeutenden Abstraktionen in der Zwischenkriegszeit bis zur langen Phase der vollendeten Künstlerpersönlichkeit.

Hartung nutzte ein Sprühgerät für Herbizide

Das heißt nicht, dass Hartung in dieser Phase dann immer gleich gemalt hätte, überhaupt nicht. So erinnern die erwähnten Panoramaformate gar an die Filmtitel-Typographie asiatischer Genrefilme der 60er, 70er Jahre, Bruce Lee, Pinku eiga oder so, während andere Bilder an Graffitis auf Häuserwänden denken lassen. Tatsächlich hat er sich Sprühtechniken bedient, gerne auch mal ausgeführt mit dem Hochleistungssprühgerät für Herbizide, wie er sich seine Werkzeuge überhaupt gerne jenseits des Malbedarfs gesucht hat: Drahtbürsten, Federfächer und Maurerkellen kamen zum Einsatz. Kennt man die Werkzeuge, kann man ihre Verwendung an seinen Bildern wunderbar ablesen. Hans Hartung hat daraus kein Geheimnis gemacht. Es gibt zahlreiche Filmaufnahmen (auch auf YouTube), die ihn bei der Arbeit zeigen, stets in sitzender Position.

Ob er zu dieser speziellen Position, zu diesen originellen Arbeitstechniken auch ohne die Kriegsverletzung gefunden hätte? Die Ausstellung suggeriert, sagt: nein. (Galerie Max Hetzler. Potsdamer Str. 77-87. Bis 14.1, Di-Sa 11-18 Uhr)

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