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Die Künstlerin Ada Rybachuk in Alina Matochkinas Dokumentarfilm „Ada“.

© Ukrainian Film Festival Berlin

Dokumentarfilme über ukrainische Künstler: Verschwiegen, vergessen, verboten

Manche wurden schikaniert, manches Werk zerstört. Und manche wurden schlicht zu Russen erklärt: Eine Berliner Filmreihe würdigt ukrainische Dichter, Künstler und Komponisten.

Zensur kann auch aus flüssigem Beton bestehen. Der wurde über das Monumentalrelief des ukrainischen Künstlerpaars Ada Rybachuk und Volodymyr Melnichenko gegossen, an dem die beiden mehr als zehn Jahre gearbeitet hatten. Über 200 Meter lang und bis zu 14 Meter hoch war ihre fast fertiggestellte „Mauer der Erinnerung“ auf dem Kiewer Baikowe-Friedhof, deren Motive aus der Mythologie und der Weltgeschichte Trauernde auf dem Weg zum ebenfalls von den beiden entworfenen Krematorium begleiten sollten.

Tod, Trauer, Krieg, die Schattenseiten des Lebens: 1982 fiel das Werk bei den Behörden in Ungnade. Die XXL-Skulptur, selbst aus Beton und aus Keramiken bestehend, wurde lebendig begraben. Ein krasser, besonders grausamer Fall der Unterdrückung ukrainischer Sowjetkunst durch das Regime.

Rybachuk und Melnichenko kämpften für die Freilegung ihres Werks, mit der drastischen Folge, dass ihre Namen aus der Kunstgeschichte und dem Gedächtnis des Landes getilgt werden sollten. 2004 wurde sogar ihr Atelier für illegitim erklärt. Vergeblich auch das Engagement zahlreicher Mitstreiter: Eine erste solidarische Filmdokumentation datiert von 1988. Zuletzt resignierte selbst die lebensfröhliche, unerschrockene Ada Rybachuk, sie starb 2010.

Nun hat die vor einem Jahr nach Berlin geflohene Regisseurin Alina Matochkina der Künstlerin in ihrem Dokumentarfilm „Ada“ ein Denkmal gesetzt, sie würdigt auch das zähe Ringen von Volodymyr Melnichenko um die Rehabilitation seiner Lebensgefährtin und ihres gemeinsamen Œuvres. Der alte Mann bringt seine Zeit zwischen den Großkeramiken des Ateliers zu, organisiert Ausstellungen und Publikationen, lässt sich von Freunden in Videotelefonaten beraten. Er wird Adas Schicksal nicht dem Vergessen preisgeben.

„Ada“ ist am kommenden Samstag im Rahmen der dreitägigen Filmreihe „Ukraine Known Unkown“ zu sehen, die das Ukrainian Film Festival Berlin ab 21. April im Acud-Kino in Mitte ausrichtet. Die Reihe versammelt fünf Dokumentarfilme, die verbotene, unterschlagene, totgeschwiegene oder in der Sowjetzeit zu Russ:innen erklärte Künstler:innen würdigt.

Schon bevor Putins Armee 2022 die gesamte Ukraine zu bombardieren begann, hatte es in Kiew Initiativen für eine „Entkolonialisierung“ der ukrainischen Kunst und Kultur gegeben. Die Kunsthistorikerin Oksana Semenik, die unter anderem den Twitter-Account „Ukrainian Art History“ betreibt, wird dazu Auskunft geben, im Anschluss an die Vorführung von Volodymyr Lutskyis und Igor Malakhovs Doku „Malevich“ (2019) am 23. April.

Kasimir Malewitsch gilt zwar als bedeutendster Vertreter der russischen Avantgarde. Der Maler des „Schwarzen Quadrats“ und Begründer des Suprematismus kam jedoch als Sohn polnischer Übersiedler in Kiew zur Welt. Er selbst bezeichnete sich als Pole oder Ukrainer, später wollte er von Nationalzugehörigkeit lieber gar nichts mehr wissen. Der Film zeichnet nicht nur den Einfluss des Künstlers auf die internationale Kunst- und Kulturszene nach, sondern legt auch die ukrainischen Wurzeln von Malewitschs Werk frei.

Außerdem im Programm: Max Rudenkos Karpaten-Poem „Ein Porträt vor dem Hintergrund der Berge“ mit dem zufällig gefundenen Bildarchiv der Dorfchronistin und Fotokünstlerin Paraska Plytka-Horyts­vit im Zentrum. Und „Chubai“, eine Spurensuche nach dem gleichnamigen Poeten, der in den 60ern und 70ern zum sogenannten Lemberger Untergrund gehörte. Friedenspreisträger Serhij Zhadan spielt den Reiseleiter bei diesem Trip zurück in die Literaturgeschichte.

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Eröffnet wird die Reihe mit dem Komponistenporträt „V. Silvestrov“ (2020), einer Hommage an den ukrainischen Meister der Stille. Im ersten und dritten Teil von Serhiy Bukowsyks 140-minütigem Triptychon begleitet die Zuschauerin Valentin Silvestrov zu Aufnahmen im Tonstudio und Kinderchorproben. Sotto voce, ruft er immer wieder, nie ist er zufrieden, der Klang nicht sonnig, nicht transparent, nicht differenziert genug. Ein freundlicher, manchmal verzweifelter Grantler: Dem Glück des Leiseseins und des vollendeten Kangs geht harte Arbeit voraus.

Im Gespräch mit dem Regisseur – der Mittelteil des Films – mäandern Silvestrovs Sätze. Direkte Antworten gibt er nie. Vielmehr tastet er sich an sie heran, zitiert Laotse, denkt laut über Bruegels „Turmbau zu Babel“-Gemälde nach und über die Tonnen von Dezibel, die wir unseren Ohren zumuten. Ähnlich mäandernd entsteht vielleicht seine zarte, bestürzte Musik. Komponieren ist hören, sagt er. Dass ein Gedanke, wenn er ausgesprochen ist, zur Lüge wird. Und dass die Erde einen langsamen Walzer tanzt. Silvestrov hat diesen Walzer komponiert.

Mit brüchiger Stimme, fast geflüstert, singt er seine Version der ukrainischen Nationalhymne. Eine Geisterbeschwörung, dazu stille Tableaus von Kiew im Winter. Valentin Silvestrov wollte das Land nie verlassen, auch nicht, als er wegen des Fehlens von sozialem Realismus in seiner Musik 1970 aus dem Komponistenverband der UdSSR ausgeschlossen wurde. Der Krieg hat den heute 85-Jährigen nun doch vertrieben, aus seiner bescheidenen, mit Büchern und Noten vollgestopften Kiewer Wohnung. Auch Silvestrov lebt seit einem Jahr in Berlin.

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