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Die Ausstellung „Natural Origin“ von Timur Si-Qin in der Galerie Société in Berlin.

© Timur Si-Qin

Digitales Wald-Gefühl: Künstler Timur Si-Qin zapft die Spiritualität an

Der Künstler Timur Si-Qin schuf einen riesigen künstlichen Baum fürs Meta-Büro in New York und zeigt sein virtuelles Pflanzen-Biotop nun in Berlin.

Von John Falkirk

Timur Si-Qin sieht müde aus, als er mit zwei Assistenten und einem Fön letzte Hand an eine Installation eines künstlichen Busches legt. Kein Wunder, am Tag zuvor war er bis spät in die Nacht auf den Beinen und baute seine Ausstellung auf, die kürzlich im Rahmen des Berliner Gallery Weekends eröffnet wurde. Keine Zeit zu verlieren.

Timur Si-Qin bittet um eine Tasse schwarzen Tee und setzt sich zum Gespräch auf den Holzboden der Galerie Société in Charlottenburg. An den Wänden hängen ausgedruckte Bilder von computergenerierten Simulationen von Pflanzen und Blumen. Die Originale stammen aus ostamerikanischen Wäldern. Es ist ein virtuelles Biosystem – üppige, urzeitlich Natur, von Menschenhand unberührt.

Friedliche Koexistenz

„Die Pflanzen habe ich alle bei Campingausflügen in New York und Vermont entdeckt. Ich habe sie fotografiert und eingescannt und ein paar Felsproben gesammelt“, sagt er.

Die Kunst von Timur Si-Qin war unter anderem im Hamburger Bahnhof in Berlin, in der Frankfurter Schirn und im The Center for Contemporary Art in Tel Aviv ausgestellt, die „New York Times“ und die „Financial Times“ berichteten über sein Werk.

Timur Si-Qin arbeitet überwiegend mit digitalen Mitteln, beschäftigt sich aber mit Themen, die mit dem Informationszeitalter wenig zu tun haben: Spiritualität, Ökologie, indigene Kulturen.

Das Gehirn behandelt eine Marke wie einen alten Freund.

Timur Si-Qin, Künstler

„Die Wahl der Mittel hat zum einen mit meinen Fähigkeiten zu tun, ich nutze die Technologien, mit denen ich aufgewachsen bin und mit denen ich gelernt habe umzugehen. Ein sehr pragmatischer Ansatz. Zum anderen geht es aber darum, dass ich mich weigere, die Dualität von Technologie und Natur, von Natürlichkeit und Künstlichkeit anzuerkennen. Es würde letztlich bedeuten, dass Mensch und Natur getrennt sind.“

Timur Si-Qins Skulptur eines Baumes „Sacred Footprint“ im Büro von Meta in New York.

© Timur Si-Qin

In seinem laufenden Projekt „New Peace“, einer Art baudrillardesker Versuch, das semiotische Universum aus der materialistischen Konsumkultur zurückzuerobern, hat Timur Si-Qin ein markenähnliches Konzept geschafft. Das Wort „New Peace“ ist neben einem Yin-und-Yang-ähnlichen Kreis dargestellt. Ein Element, das in vielen seiner Bilder verwendet wird und das er auch auf Shirts drucken ließ.

Mit Apachen aufgewachsen

„Schon früh in meiner Praxis interessierte ich mich für Branding als Skulptur. Es ist eine Art Hyperobjekt, eine symbolische Skulptur. Etwas, das man im Laufe der Zeit mit Bedeutung aufladen kann. Eine Marke ist ein Bild, das man immer und immer wieder sieht und das die Wahrnehmung auf einzigartige Weise beeinflusst. Das Gehirn behandelt eine Marke wie einen alten Freund.“

Der Künstler Timur Si-Qin ist 1984 in West-Berlin geboren, er verbrachte einen Teil seiner Kindheit in Arizona.

© promo

Timur Si-Qin wurde 1984 in West-Berlin als Sohn einer deutschen Mutter und eines chinesischen-mongolischen Vaters geboren. Als sich seine Eltern scheiden ließen, zog er mit seiner Mutter nach Arizona, wo diese erneut heiratete, einen Mann, der der Gemeinschaft der Apachen angehört. Die indigene Kultur hat ihn geprägt.

„Meine religiöse Erziehung fand in diesem heimischen, indigenen Umfeld statt. Sie entspricht wahrscheinlich mehr einer säkularen Sichtweise als einer frommen westlichen Sicht. Sie stellt die Natur in den Mittelpunkt der Spiritualität.“

Bei der von ihm ins Leben gerufenen Gemeinschaft „New Peace“ geht es ihm darum, einer „säkularen Spiritualität“ Raum zu schaffen, von der er hofft, dass sie zu einem neuen Umgang mit dem Klimawandel führen kann. „Wir müssen alle an einem Strang ziehen, sonst können wir uns dieser Herausforderung nicht stellen.“ Timur Si-Qin hofft, dass die Menschen eine andere Beziehung zur Natur aufbauen, dass sich die angeborene, natürliche Spiritualität anzapfen lässt.

Sommergrüner Laubwald goes digital

Die meisten Objekte in der Ausstellung stammen aus sogenannten „sommergrünen Laubwäldern“, einem der ältesten Ökosysteme der Erde, das im Laufe der Zeit immer wieder durch den Menschen bedroht war. Jetzt ist es aufgrund der globalen Erwärmung einmal mehr in Gefahr.

Timur Si-Qins letzter großer Auftrag war für Meta, die Muttergesellschaft von Facebook und Instagram. Für das Meta-Büro in New York erstellte er einen riesigen, mit dem 3D-Drucker ausgedruckten hybriden Baum, zusammengesetzt aus den unterschiedlichen Arten, die in sommergrünen Laubwäldern vorkommen.

„Ich hatte die Inspiration auf einem Ayahuasca-Trip. Ich sehe es als eine großartige Möglichkeit, ins Innere dieses Unternehmens hineinzuwirken und die Kultur zu beeinflussen. Diese Leute gehen jeden Tag an diesem Baum vorbei.“ Timur Si-Qins hofft, dass seine Skulptur die Mitarbeitenden des Tech-Riesen in eine neue Richtung lenkt.

Obwohl der Künstler manchmal mit der Post-Internet-Bewegung in Verbindung gebracht wird, hält er nicht viel von dem Begriff. Er ist ihm zu platt. Für Timur Si-Qin klingt es, als hätte jemand die aus „Postmoderne“ bekannte Silbe „Post“ einfach mit dem allgegenwärtigen Begriff „Internet“ verbunden. Nur ein weiterer Hype, eine weitere Schublade.

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