zum Hauptinhalt

Kultur: Die Traumfabrik

An Dresdens Straßburger Platz ist Elbflorenz ganz nahe und doch schon sichtbar erodiert.Hier heißt der Weihnachtsmarkt nicht Striezel wie sein Verwandter drüben am Altmarkt, hier heißt er "Weihnachtsevent", statt Mandeln riecht man den Dieselruß eines Generators.

Von Andreas Austilat

An Dresdens Straßburger Platz ist Elbflorenz ganz nahe und doch schon sichtbar erodiert.Hier heißt der Weihnachtsmarkt nicht Striezel wie sein Verwandter drüben am Altmarkt, hier heißt er "Weihnachtsevent", statt Mandeln riecht man den Dieselruß eines Generators.

Außenstehenden erschließt sich die Qualität des Ortes nicht, Dresdnern ist sie von Kindesbeinen an vertraut.Gleich hinter dem wüsten Konglomerat aus Behelfshallen und den Wohnwagen der Ausstellungsarbeiter sieht man schon die Wipfel Sächsisch-Arkadiens.Das Messegelände ist die kleine graue Ecke im grünen Rechteck des "Großen Gartens".Und der bedeutet den Dresdnern das, was der Tiergarten für Berlin oder der Central Park den New Yorkern ist.

Die Messe soll weg.Auf dem Terrain, das seit über 100 Jahren zum Großen Garten gehört, will Volkswagen künftig Autos bauen.Der Stadtrat hat mit Mehrheit entschieden, gestritten wird immer noch, auch quer durch die Fraktionen.Denn bisher galt für dieses Areal eine Maxime Dresdner Stadtplanung: Das Gelände ist genuiner Bestandteil des Großen Gartens und muß der öffentlichen Nutzung vorbehalten bleiben: ebenso wie in der Nachbarschaft der Botanische Garten, der Zoo und das Deutsche Hygiene-Museum.Seit Jahren gab es Pläne, das Messegelände dem Botanischen Garten zuzuschlagen, das grüne Rechteck wieder zu komplettieren.Statt dessen wird VW nun einen besonderen Bildungsbeitrag leisten: Hier soll "die hohe Kunst des Autobaus", schwärmt Dresdens Oberbürgermeister Herbert Wagner, öffentlich zelebriert werden, hinter Glas, für jedermann sichtbar.

Als den "neuen Zwinger" hat der Münchner VW-Hausarchitekt Gunter Henn das Projekt angekündigt; Henns Vater übrigens war der erste Lehrstuhlinhaber für Industriearchitektur an der Technischen Hochschule Dresden.Das Gebäude der ungewöhnlichen Schau-Arbeit wird 28 Meter hoch sein, mit einer Kantenlänge von 150 Metern, gekrönt von einem 40 Meter hohen Turm.Hinter der transparenten Fassade wird ein neuer, noch geheimnisumwitterter Luxusvolkswagen montiert, mit dem die Wolfsburger in die Klasse der über 100 000 Mark teuren Autos vorstoßen wollen.Wie in einem gewaltigen Setzkasten sollen weißgekleidete Arbeiter auf der mit Parkett ausgelegten Werksstraße die angelieferten Teile vor den Augen der Neugierigen zusammenfügen.Baubeginn ist im Februar.

Eines war hier von Anfang an klar: Volkswagen wollte mit einer neuen Fertigungsstätte nicht in die Gewerbegebiete an Dresdens Peripherie.Statt dessen, so VW-Sprecher Hans-Peter Blechinger, wäre man eher raus aus Deutschland gegangen.Die öffentliche Montage im Zentrum einer Kulturstadt sei wesentlicher Bestandteil des Marketingkonzeptes.In solch gläserner Manufaktur - das Wort Fabrik schätzt man nicht - will VW die industrielle Arbeit zum Event erheben: als Touristenattraktion des 21.Jahrhunderts.

Das Konzept kann wohl aufgehen.Seit Hannah Arendt 1958 das Ende der Arbeitsgesellschaft prophezeite, wird körperliche Tätigkeit zumindest im industriellen Sektor immer rarer.Schon sind ganze Branchen nur noch im Museum zu bestaunen.Ganze Hüttenwerke wurden zum Denkmal ihrer selbst, Völklingen brachte es gar auf die Unesco-Liste des Weltkulturerbes.Und das Mannheimer Museum für Technik und Arbeit versucht selbst das soziale Umfeld der Nachwelt zu dokumentieren: der Besucher kann hier Eckkneipe und Hinterhof besichtigen.Zur Ästhetisierung der verbliebenen Arbeit ist es da nur noch ein kleiner Schritt.Also werden die Nachkommen der Industriegesellschaft kommen und sich die Nase plattdrücken an der Scheibe der Traumfabrik, in der noch leibhaftige Arbeit geleistet wird, mit den Händen, doch ohne Gestank, ohne Lärm und im kleinen Maßstab - 150 Autos sollen es in Dresden täglich sein, 16 000 sind es bei VW weltweit.Unter fast klinischen Bedingungen wird die Arbeit am Produkt grandios in Szene gesetzt, umrahmt von einem Kulturprogramm, eingebettet in die Dresdner Kulturlandschaft.Und den Arbeitslosen, der sich hier gleichfalls die Nase plattdrückt, mag vielleicht trösten, daß hinter Glas dort drinnen 800 Zeitgenossen ihren Platz gefunden haben.

Den russischen Konstruktivisten hätte die Vorstellung gefallen, Arbeit so zu inszenieren, glaubt der Architekt und gebürtige Dresdner Günter Behnisch.Er selbst findet den Gedanken nicht so zeitgemäß.Denn bei der schönen neuen Arbeitswelt werde es nicht bleiben, eine Fabrik, auch wenn sie nur Manufaktur sein wolle, brauche eine Infrastruktur und Platz zur Erweiterung.In einem Interview kritisierte er das Vorhaben als schlimmstes Beispiel dafür, daß Politik und Verwaltung im Städtebau nichts mehr zu sagen hätten - und in Dresden den Stolz der Stadt preisgäben.Im Gespräch mit dem Tagesspiegel nannte er es etwas moderater ein unschönes Symbol: Wo die Demokratie als Bauherr auftrete, kämen normalerweise viele Stimmen zu Wort; hier aber würden sie erst gehört, nachdem VW seine Entscheidung gefällt hatte.

Einen "handstreichartigen" Charakter bescheinigt auch Hermann Kokenge, Dekan der Architektur-Fakultät an der TU Dresden, dem Vorgehen der Stadtverwaltung.Bevor Standortfragen in der Öffentlichkeit diskutiert worden seien, hätten schon Planung und Architektur der gläsernen Fabrik festgestanden, hätten sich Stadtobere und VW geeinigt.Es sei nur noch um Ja oder Nein, nicht mehr um den Standort gegangen.

Der Wolfsburger Weltkonzern hat indes einiges versprochen.Von einem völlig neuen Infrastrukturkonzept ist die Rede, Teile sollen des Nachts per Straßenbahn angeliefert werden.Die Stadt hat eine Zusage erhalten, nach der an ihrem Standort nicht (chemiesprühend) lackiert, sondern nur entsorgungsfrei montiert werden darf und keine Areale für Erweiterungsbauten beansprucht werden.Diese Versprechungen hält Kokenge freilich für Makulatur, für den Fall, daß sich das neue Prudukt nicht durchsetze oder sich das Investoreninteresse ändere.

Kokenges Befürchtungen rühren auch an ein Grundproblem, seit Jane Jacobs in den sechziger Jahren das Sterben der amerikanischen Städte diagnostiziert hat.Im gleichen Maße, wie sich die typische City aufzulösen begann, wie die Bereiche Arbeit, Wohnen, Kommunikation und Einkaufen sich voneinander lösten, begann auch die Debatte darüber, wie sich dieser Erosionsprozeß aufhalten ließe.Viel ist seitdem über die Reparatur der Innenstädte und neue urbanistische Modelle diskutiert worden.Aber was immer dabei an Plänen rauskommt, den Kommunen fehlt die Kraft, gestalterische Vorstellungen gegen ökonomische Zwänge durchzusetzen.In Berlin wurde diese Debatte bei der Bebauung des Potsdamer Platzes geführt, in Dresden bricht sie jetzt los.Und Volkswagen bereichert sie noch um eine Variante, die inszenierte Urbanität wird um den Faktor Arbeit ergänzt.

Die Wolfsburger sehen ihre Manufaktur als Teil eines Ensembles, in dem die Visite im Autohaus eingebettet ist in ein Kulturpaket, das womöglich mit einem Rundgang durch den Zwinger beginnt und mit einem Besuch in der Semperoper endet.VW setzt auf vormals öffentlichem Raum sich selbst in Beziehung zur Stadt, will nun im eigenen Interesse einen Beitrag leisten, die Attraktivität des noch immer verwüsteten Zentrums der Stadt zu steigern.Deshalb wirbt der transparente Komplex auch mit einem "Themenpark zum Kulturgut Auto", mit Gastronomie, einer Kunstgalerie und einem öffentlichen Forum für Veranstaltungen.Der Bau allerdings wird, bei aller Durchsichtigkeit, alle anderen Dresdner Gebäude an Masse deutlich übertreffen.

Soviel selbstbewuße Einmischung demonstriert die Veränderung städtischer Leitbilder.Wie aktuell die Debatte darüber ist, zeigt, daß allein am vergangenen Wochenende gleich zwei Architekturinstitutionen die Krise des öffentlichen Raumes zum Thema machten: die Architektenkammer Berlin und das Bauhaus Dessau.Zwei Grundpositionen stehen sich dabei gegenüber.Die einen fürchten, wie der Berliner Architekturkritiker Bruno Flierl, eine Planungsanarchie, die die Stadt zum Patchworkmuster kurzlebiger Investoreninteressen mache.Urbanität im Sinne eines lebendigen Miteinander gebe es da nur noch als inszenierte Erlebniswelt, Spontaneität würde möglicherweise verboten, wenn sie die private Ordnung stört.Wenn aber die Kommunikation nur noch durch die Warenproduktion geregelt wird, könnte es kalt werden in den Städten.Ebenso ungemütlich findet Flierl die Vorstellung einer inszenierten Arbeitswelt hinter Glas.Da verwandele sich die Welt in Bilder, und die Bilder würden zur Realität.

Ganz anders sieht das der Leiter der Akademie der Stiftung Bauhaus Dessau, Walter Prigge.Stadtplaner der Zukunft müßten vielmehr im Geschäft mit Investoren neue Handlungspielräume erobern: Du darfst hier bauen, wenn du mir dort etwas anderes errichtest.Gegen eine gläserne Fabrik auch in so exponierter Lage hat Prigge nichts.Wenn Urbanität das Ziel sei, wenn man wieder die alte Stadt wolle mit ihrem Funktionsmix aus Wohnen, Kommunizieren und Arbeiten, dann müsse man das Dresdner Projekt begrüßen.Die Diagnose, daß der öffentliche Raum sterbe, sei richtig.Aber Urbanität organisiere sich nicht mehr von alleine, die mobile Gesellschaft wohne immer seltener dort, wo sie arbeitet.Wenn aber die Funktionsmischung nur noch als Inszenierung zu haben sei, dann müsse eine auch auf Virtualität gegründete Gesellschaft diesen Preis heute zahlen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false