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Die Schaubude feiert 30 Jahre: Kullerköppe und Avantgarde

Das avantgardistische Puppentheater Schaubude feiert sein Jubiläum mit dem Festival „Figure it out“. Und behandelt brandaktuelle Themen.

Was für eine Schauergeschichte: Fürst Sternenhoch, ein Ranghoher im Deutschen Reich und schon als Bismarcks Nachfolger gehandelt, verfällt einer unstandesgemäßen Frau namens Helga – nicht wegen ihrer Schönheit, wie zu vermuten wäre, sondern wegen ihrer geradezu bizarren Anziehungskraft.

Die trifft den Fürsten „wie ein elektrischer Schlag“. Was der Beginn einer veritablen amour fou ist. Helga fügt sich anfangs devot in die Ehe, emanzipiert sich jedoch bald umso brachialer. Sie tötet ihren Vater, ihr Neugeborenes, beginnt eine wilde Affäre mit einem Nachbarn – und bringt den Fürsten damit um den Verstand. Wahn und Wirklichkeit verschwimmen.

„Die Leiden des Fürsten Sternenhoch“ heißt das 1928 erschienene „groteske Romanetto“ des tschechischen Autors Ladislav Klíma, das die Gruppe Lovefuckers jetzt auf die Bühne gebracht hat. Größenteils verkörpert von fantastisch geführten, ausdrucksstarken Puppen, mit denen die Performer:innen auf Augenhöhe agieren. Untermalt vom Düstersound der Doom-Metal-Band NADJA, in einem expressionistischen Bühnenbild der Licht- und Schattenspiele. Bestürmend!

Objekt Ost

„The Truth about Helga“ ist ein Highlight des Festivals „Figure it out“. Mit dem feiert die Schaubude an der Greifswalder Straße ihren 30. Geburtstag – wobei die Bühnengeschichte an diesem Standort noch weiter zurückreicht, bis in DDR-Zeiten, als hier das Staatliche Puppentheater Berlin (Ost) beheimatet war. Das wurde nach der Wende abgewickelt und von Gerd Taube auf neue Beine gestellt – erstmals auch mit einem regelmäßigen Spielplan für Erwachsene.

Damals hatte das gesamte Genre ja noch mit Vorurteilen zu kämpfen, mit dem Ruf des Kaspertheaters (verkennend, welch brutaler Anarcho diese Figur ist). Intendantin Silvia Brendenal, die das Haus 1997 übernahm, internationalisierte in den folgenden Jahren das Programm – maßgeblich beeinflusst vom französischen Théâtre d’objets, das wie der Neue Zirkus im Nachbarland schon lange viel avantgardistischer ausgeprägt war als das deutsche Pendant.

„The Truth about Helga“ ist ein Highlight des Festivals“.

© Christian Marquardt

Seit acht Jahren leitet nun Tim Sandweg die Schaubude, der vom Puppentheater Magdeburg kam und das Haus konsequent weiter zum Schaukasten des state of the art seiner Zunft gemacht hat – unter anderem mit dem jährlichen internationalen Festival „Theater der Dinge“, das verlässlich spannend die Trends, Tendenzen und Suchbewegungen im Genre der Figuren- und Objekttheaterkunst bündelt.

Digitale Experimentierlust

Sandweg ist niemand, der in rückwärtsgewandte Geburtstagsrührseligkeit verfallen würde, „Nostalgie“, sagt er, „haben wir uns schon beim 25. Jubiläum der Schaubude verboten, die passt nicht zu uns“. Über die Geschichte des Theaters erzähle schon der Saal genug.

Der besitze einen ganz eigenen Charme –und sei zugleich „mit seinem Proszenium, der Rampe und den fest verbauten Sitzreihen“ ein architektonischer Ausweis traditioneller Theater-Ästhetik. Die orientierte sich vor dem Mauerfall besonders am russischen Vorbild des Stabpuppentheaters (in Szenekreisen auch „Kullerköppe“ genannt: Figuren mit großen runden Styroporköpfen und formalisierten Gesichtszügen).

Lange her. Heute macht das Figuren- und Objekttheater eher mit digitaler Experimentierlust von sich reden. Oder – auf der anderen Seite des Spektrums – mit feinster Handarbeit. Der Künstler Jonathan Schmidt-Colinet etwa hat fürs Festival eine Installation aus kunstvoll gestalteten und gefalteten Booklets eingerichtet („B ch/K rp r La d ha t“), mit denen er zerbrechliche Identitäten befragt. Sehr sehens- und anfassenswert.

Das Haus gehört der Kunst

„Es geht uns nicht um Bewahrung traditioneller Formen, wir wollen Entwicklungen abbilden“, fasst Sandweg sein Schaubuden-Credo zusammen. Wobei man als Produktionshaus für die Freie Szene natürlich maßgeblich darauf schaue: „Was möchten die Künstler:innen auf die Bühne bringen?“

Dem folgt auch die Auswahl fürs Festival „Figure it out“ – sämtliche der eingeladenen Produktionen sind in Künstler:innen-Residenzen entstanden, die durch das „Neustart Kultur“-Programm des Fonds Darstellende Künste noch zu Pandemie-Hochzeiten ermöglicht wurden. Und sie stammen von Theatermacher:innen, „die bei uns am Haus auf die eine oder andere Weise schon präsent waren“, so Sandweg. .

Dazu zählt das süd- und mittelamerikanische KMZ Kollektiv, das beim Festival „Fünf Exponate“ zeigen wird – eine Objektinszenierung, die am Beispiel von Kartoffeln und Gips postkolonialen Verstrickungen nachspüren wird. Oder die Masken-Künstlerin Cora Sachs. Sie zeigt den ersten Teil ihrer Trilogie „Anatomie der guten Hoffnung“, mit der sie eine Geschichte der Misogynie auffächert. Das Figuren- und Objekttheater – das beweist die Schaubude einmal mehr – hat nicht nur viel zu zeigen, sondern auch zu sagen.

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