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Kultur: Die Ich-AG von Bamako

Zugegeben: Wenn im Dokumentarfilm ein Fotoalbum gezückt wird, schalten die Aufmerksamkeitsaggregate im Wahrnehmungszentrum der Filmkritikerin auf halbe Kraft. Sind die Familienbilder der eigenen Mischpoke nicht schon langweilig genug?

Zugegeben: Wenn im Dokumentarfilm ein Fotoalbum gezückt wird, schalten die Aufmerksamkeitsaggregate im Wahrnehmungszentrum der Filmkritikerin auf halbe Kraft. Sind die Familienbilder der eigenen Mischpoke nicht schon langweilig genug? Andererseits: Als dramaturgisches Mittel zur Einführung von Figurenkonstellationen und biografischen Hintergründen ist das gemeinsame Bildergucken durchaus nützlich. Auch Karola Schlegelmilchs Formen der Fremdheit beginnt zur Einstimmung mit einer Fotosession. Doch schon bald geht es aus der Wohnküche hinaus und vom badischen Merdingen ins westliche Afrika, nach Burkina Faso – dort wurde die kleine Fanta Madita Hardegen Traoré geboren. Jetzt lebt sie mit ihrer Mutter Gisa, einer Musikerin, wieder in Deutschland, die kulturelle Fremdheit wurde irgendwann zu groß. Der biografische Erfahrungsraum der Familie gibt den narrativen Rahmen für die Super-8-Bilder, die die Berliner Künstlerin Schlegelmilch in den letzten Jahren von Reisen in westafrikanische Länder mitgebracht hat. Impressionen, die von Romantisierung ebenso weit entfernt sind wie vom afrikaüblichen Sensationalismus: Zu sehen sind Arbeiter im Botanischen Garten und verblasste Werbetafeln, ein Open-Air-Gottesdienst oder die Dreharbeiten zu einer Soap, oft in der Totale aus dem Hotelzimmer oder größerer Distanz gedreht. Keine falsche Nähe vortäuschen, doch auch nicht künstliche Gegensätze markieren! Schlegelmilchs Film interessiert sich für die kulturellen Kreuzungslinien – etwa wenn im Plattenladen in Mali klassische Musik gespielt wird oder sich, zurück im Badischen, das dunkelhäutige Kind zum Karneval als schwarze Hexe schminkt (ab heute im Kino Brotfabrik).

Keine Brotfabrik, wohl aber eine Bäckerei spielt in „Der Weiße mit dem Schwarzbrot“ eine Rolle – auch dieser Film führt nach Westafrika und handelt von kultureller Differenz. Der Schauspieler Christof Wackernagel hat in Bamako, Mali, eine Vollkornbäckerei nach deutschem Muster eröffnet. Das ist nicht ganz einfach: Erstens ziehen die Bewohner von Bamako ihr eigenes Baguette vor. Zweitens explodierte der importierte Backofen nach wenigen Monaten. Und die kooperierenden Malier sind auch nicht alle Engel. Doch Wackernagel ist lern- und zur Selbstkritik fähig, auch wenn der schwäbisch-missionarische Weltverbesserungsgeist immer wieder mit ihm durchgeht. Das von dem Potsdamer HFF-Studenten Jonas Grosch, einem Neffen des Porträtierten, konventionell erzählte Porträt fängt die schillernde Persönlichkeit Wackernagels gut ein, auch wenn der junge Filmemacher vielleicht von seinem charismatischen Onkel ein bisschen zu fasziniert ist. Wackernagel geriet nach frühem Darstellerruhm in die Stuttgarter linke Szene und später als RAF-Aktivist für zehn Jahre ins Gefängnis, nach der Strafverbüßung nahm er die Schauspielerei wieder auf. Es war wohl auch dieser Ruch des Ex-Terroristen, der ihn Westafrika als Fluchtpunkt wählen ließ, um dort einen Roman zu schreiben. Zur Filmpremiere (am Sonnabend im Babylon Mitte) wird er eigens aus Mali anreisen und mit Regisseur Grosch und dem Musiker Madou dem Publikum zur Verfügung stehen. Vor unbedachter interkultureller Annäherung an anwesende Malierinnen sei aber gewarnt: Mit einer Frau gemeinsam zu essen, gilt in Mali als Heiratsversprechen.

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