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Adriaen van Utrechts „Großes Stillleben mit Hund und Katze“ von 1647.

© Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Elke Estel/Hans-Peter Klut

Die Geschichte des Stilllebens in der Dresdner Sempergalerie: Als die Maler mit ihren Bildern prunkten und Bescheidenheit meinten

Ein Moment der Stille im Sturm: Die Gemäldegalerie Alte Meister zeigt mit „Zeitloser Schönheit“ eine glanzvolle Ausstellung aus ihren Beständen

Die Erwerbung eines Blumenstilllebens des spanischen Malers Juan de Areallano im Jahr 2006 gab den Anstoß. Schon damals wollte sich die Dresdner Gemäldegalerie Alter Meister mit einer Ausstellung der Geschichte des Stilllebens anhand der eigenen Sammlung widmen, die genügend Beispiele besitzt und dafür auch auf Bilder im Schloss und der Moritzburg zurückgreifen. Jahr um Jahr verging, dann kam Corona dazwischen, zumindest ein Katalog wurde geplant und endlich auch die ersehnte Ausstellung. Dass sie den Titel „Zeitlose Schönheit“ trägt, mag auch dieser Vorgeschichte geschuldet sein.

Das Warten hat sich gelohnt, diverse Bilder wurden in der Zwischenzeit restauriert. Im Erdgeschoss der Sempergalerie hat Kuratorin Konstanze Krüger nun mit neunzig Gemälden eine bezaubernde Ausstellung zusammengestellt, die zwar um ein einziges Genre kreist, durch die Untergattungen aber in viele Richtungen weist. Vor allem hält sie die Zeit für einen Moment fest, lässt den Sturm da draußen vorübergehend vergessen.

Was schlicht mit einer Madonna mit Kind und zwei Heiligen von Lorenzo di Credi Anfang des 16. Jahrhunderts begann, zu deren Füßen ein kleiner Strauß in einer Vase steht, so dass es für die Kirchenbesucher wie ein realer Altarschmuck aussah, führte im 17. Jahrhundert zu opulenten Arrangements, überladenen Bouquets. Auch wenn das Stillleben an die Vergänglichkeit und Gottesfürchtigkeit gemahnt, in Bescheidenheit übten sich dessen Maler nicht.

Die Wurzeln des Genres: im Ungewissen

Woher das Konzept des Genres stammt, ist ungewiss. Anregungen lieferte vermutlich die Antike, in der Blumengirlanden zum Architekturschmuck gehörten und steinerne Granatäpfel als dauerhafte Opfergaben für die Götter dienten. Die Ausstellung macht auch deshalb Spaß, weil sie eben nicht nur Gemälde vorführt, sondern ergänzend konkrete Objekte aus den diversen Abteilungen der Staatlichen Kunstsammlungen zeigt. Die ausgestellten venezianischen Gläser, silbernen Buckelpokale, mechanischen Uhren und seltenen Muscheln lassen sich auf den Bildern wiederfinden. Clou ist ein marmorner Totenschädel, den sich Papst Chigi als Memento Mori für seinen Schreibtisch von Bernini anfertigen ließ.

Ursprung für das Blumenstillleben könnte der Auftrag eines anderen Kirchenmannes gewesen sein. Kardinal Federigo Borromeo bestellte 1607/08 bei Jan Breughel dem Älteren als Andachtsbild eine Muttergottes mit Blumenkranz rundherum. Breughel malte hingebungsvoll die Blüten, einen zum Greifen nahen Hortus conclusus. Sein Landsmann Hendrick van Balen platzierte darin Mutter und Kind.

„Memento mori. Ein Totenkopf neben einem Blumenstrauß“ von Jan Davidsz. de Heem (um 1655/60).

© Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Elke Estel/Hans-Peter Klut

Das Motiv wurde zum Hit. Selbst sein Sohn Jan Breughel der Jüngere setzte das Erfolgsmodell noch ein Vierteljahrhundert später mit Frans Francken fort. Inzwischen hatte sich eingespielt, dass in dem aus unzähligen Blüten und Früchten bestehenden Kranz, den bei genauerem Hinschauen diverse Insekten heimsuchen, oben links eine weiß-rot gefiederte Tulpe prangt, unten links eine weiße Anemone steckt und rechts in der Mitte eine rosafarbene Rose den Akzent setzt.

In den Städten gab es ebenso viele Maler wie Bäcker

Im 17. Jahrhundert erlebte das Stillleben einen Boom. Das zu Wohlstand gekommene Bürgertum dekorierte seine neuen Häuser großzügig mit Malerei, um es dem Adel gleichzutun. Rund zwanzig Werke schmückten im Goldenen Zeitalter durchschnittlich einen Haushalt, in den prosperierenden Städten gab es ebenso viele Maler wie Bäcker.

Kein Wunder, dass irgendwann erlegtes Wild als Motiv in Mode kam, denn die Jagd war bis dahin ebenfalls ein Privileg des Adels, das sich nun auch potente Kaufleute gönnen durften. Auch hier begann das Stillleben behutsam - jedes Objekt ist als Kostbarkeit auf einem einfachen Tisch platziert - und landet bei optischer Völlerei mit sich biegenden Tafeln.

„Ein Brett mit Briefen, Federmesser und Schreibfeder hinter roten Bändern“ von Wallerant Vaillant, 1658

© Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Elke Estel/Hans-Peter Klut

Der Betrachter kann sich kaum entscheiden zwischen den eher schlichten Banketjes der Frühzeit, den Frühstücken und Zwischenmahlzeiten meist bestehend aus einer Pastete, einem Glas Wein, ein Stück Brot und Butter, und den überbordenden Darreichungen eines Frans Snyders.

Der Sohn eines Antwerpener Wirtshausbetreibers führte die Gattung des Prunkstilllebens ein. Anschauungsmaterial lieferte ihm die väterliche Vorratskammer, weshalb es auch diesen Oberbegriff gibt. Zu einem Höhepunkt der Ausstellung gehört das von ihm um 1640 gemalte „Stillleben mit der Dame, die einen Papagei auf der Hand hält“.

Mit porzellanener Haut und prachtvollem Kleid steht die junge Frau am rechten Bildrand und schaut direkt den Betrachter an, als wollte sie sagen „All das gehört zu meiner Aussteuer“: Kirschen, Erdbeeren, Feigen, Birnen, Aprikosen in Schüsseln und Schalen aus China, ein Korb mit Trauben, eine Kupferwanne voller Artischocken und Melonen.

Die Signale sind eindeutig. Der Papagei und das Geschirr aus China verraten, dass der familiäre Reichtum aus dem Überseehandel stammt, aus kolonialen Verbindungen. Die Feigen, Artischocken, Melonen sind aus dem Mittelmeerraum importiert und zeugen ebenfalls vom Wohlstand. Die darin eingeflochtenen Hinweise verstanden damalige Betrachter leicht zu entschlüsseln. Für den heutigen Ausstellungsbesucher liegt ein Glossar zum Nachschlagen aus und klärt darüber auf, dass die Quitte für die Liebe steht, der Granatapfel für die Fruchtbarkeit, die Kirsche für das Blut Jesu. Die christliche Lesart dürfte bei Snyders allerdings nachrangig gewesen sein.

Joseph de Bray versuchte beides zu vereinbaren. Sein „Stillleben mit dem Lobgedicht auf den Pökelhering“ von 1656 preist den Fisch als bescheidene Speise, zugleich Ursprung des wirtschaftlichen Aufschwungs in den Niederlanden. Das in eine Steintafel gravierte Gedicht seines Onkels nennt die gesundheitlichen Vorteile des Verzehrs. Allerdings stehen auch hier mit dem schlichten Roggenbrot, der Butter, den Zwiebeln und dem Bier chinesisches Geschirr und venezianisches Glas auf dem Tisch, ein Arme-Leute-Gericht de luxe. Eine leicht salzige Note steigt dem Betrachter in die Nase.

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