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Szene aus Jan Geberts Dokumentation „When the War Comes“.

© Stanislav Krupar

Berlinale-Filme über Faschismus: Der Krieg in unserer Mitte

Jan Gebert hat Neonazis in der Slowakei mit der Kamera begleitet. Das Panorama zeigt vier Filme über die neue Rechte und dem alten Faschismus.

Nur ein Irrtum bringt die jungen Männer dahin, wo für sie die Welt untergeht. Sie sitzen im Auto, um von Bratislawa zu einem Flüchtlingslager zu fahren, von dem sie gehört haben. Auf dem Rückweg verirren sie sich, in den Wäldern an der Grenze zu Ungarn. Plötzlich sind sie auf der anderen Seite. Da sehen sie erst eine kleine Gruppe schwer bepackter Menschen mit Kindern, die an der Straße entlangziehen. Dann werden es immer mehr. Bis die vier Kameraden auf den Treck der Flüchtlinge stoßen, die sich in jenen Tagen des Jahres 2016 zu Tausenden ihren Weg durch Ungarn bahnen. „Wir hätten das Maschinengewehr mitbringen sollen“, sagt einer. Keiner der anderen lacht.

Einer von ihnen ist Peter Švrcek, der Gründer von Slovenski Branci (Slowakische Rekruten), einer paramilitärischen Jugendorganisation. Švrcek hat den Haarschnitt eines Hitlerjungen und ist mit Mitte zwanzig nicht älter als die, die er an Wochenenden zur Heimatschutzübung in die Wälder führt. Dort trainieren sie mit Holzgewehren schreiend Bajonettangriffe, stülpen sich Schutzanzüge und Gasmasken über und robben durchs Gelände, während sie von Švrcek und anderen mit Platzpatronen beschossen und angebrüllt werden. Dass er sich dabei hat filmen lassen, liegt daran, dass er glaubt, nichts verbergen zu müssen.

Jan Geberts Dokumentarfilm „Až prijde válka/„When the War Comes“ wirft einen nüchternen Blick auf den Aufstieg autoritärer Bewegungen. In Švrceks 200-köpfiger Rekrutentruppe bündelt sich alles, was derzeit in Europa und Amerika an isolationistischen Sehnsüchten wächst. Der Film ist einer von mehreren Beiträgen zu diesem Thema im Panorama der Berlinale. Er beleuchtet die Täter-Seite, wenn auch Švrceks Organisation derzeit alles tut, um gegenüber dem Staat untätig zu erscheinen.

Nicht Neonazi, sondern Nazi

Wohin rassistischer Hass führt, davon berichtet Árpád Bogdán in seinem wuchtigen Genozid-Drama „Genezis“. Er nimmt die Überfälle auf Roma-Siedlungen 2008 in Ungarn zum Anlass für ein breit gefächertes, fast biblisches Panorama aus Schuld, Sühne und Hundebellen. „The Silence of Others“ (Das Schweigen der Anderen) behandelt den ermüdenden Kampf von Opfern der Franco-Diktatur gegen das 1977 vom spanischen Parlament beschlossene Amnestiegesetz. Es ist hier die alte Rechte, die ihre betagten Folterknechte und Mörder mit dem Argument schützt, dass alte Wunden besser nicht aufgerissen werden sollten.

Auch „O Processo“ (Der Gerichtsprozess) aus Brasilien über das Amtsenthebungsverfahren von Präsidentin Dilma Rousseff steht in der Reihe dieser Filme über die neue Rechte und den historischen Faschismus. Wie bedrohlich sind diese Entwicklungen? Was heißt es für eine panslawische Gruppierung wie die Slowakischen Rekruten mit ihrer Verachtung demokratischer Freiheiten, dass in etlichen Ländern Europas, in der Türkei und den USA autoritäre Parteien und Politiker an die Macht gelangt sind?

Švrcek wiederhole bloß, sagt Regisseur Jan Gebert im Gespräch, was von Amtsinhabern in Ungarn, Polen oder der Slowakei an nationalistischen Tönen verbreitet werde. „Da er jung ist, treibt er deren Ideen weiter und gibt ihnen Stil und die Form einer Armee. Ich wollte zeigen, dass Worte eben nicht nur Worte sind, sondern Folgen haben. Wobei erstaunlich ist, dass Švrcek gar nicht wie ein Neonazi aussieht, sondern wie ein Nazi.“

„The Silence of Others“ beschreibt den Pakt des Vergessens nach der Franco-Diktatur.

© Almudena Carracedo

Tatsächlich orientieren sich die Slowakischen Rekruten an der faschistischen Hlinka-Garde. „When the War Comes“ zeigt aus nächster Nähe, wie die Mitglieder nach dem Modell aller Drill-Camps von Eton bis Westpoint als Personen gebrochen werden sollen, um sich zu Patrioten zu formen. Oder wie die Führungsebene um Švrcek das Wahlrecht innerhalb der Organisation abschafft, um sich Ränge auf Lebenszeit zu geben. Wie sie Namensschilder von den Uniformen der Neueinsteiger reißen und jedem eine Nummer geben.

Niemand stoppt dieses Treiben. In politischen Diskussionen weiß Švrcek eloquent auf seine im Grunde friedliche Mission hinzuweisen. „Kein System kann überleben, ohne Abwehrmechanismus“, sagt er einmal. „Das ist die Nation.“ Gebert ist mit seiner Kamera auch dabei, als Polizisten auf eine Beschwerde hin in der Nähe des Trainingslagers erscheinen. Aber die Beamten unternehmen nichts, außer Švrcek darauf hinzuweisen, dass er die Symbole des slowakischen Staates an seiner Uniform nicht tragen dürfe. So wird sein Vorgehen stillschweigend toleriert.

Die Gefahr kommt aus der Mittelschicht

Jan Gebert hat lange als Journalist in Prag gearbeitet. Von Beginn an war sein Filmprojekt umstritten. Die Angst war groß, dass er die „Rekruten“, die als Ordnungsdienst bei Volksfesten fungieren, erst wirklich populär machen würde. Aber sein Dokumentarfilm zeigt eindrücklich, dass Peter Švrcek zwar keine Vorstellung davon besitzt, auf welche Art Krieg er sich vorbereiten müsste, aber dass er das militärische Gepräge als Vehikel nutzt. Er, dessen jungenhafte Gesichtszüge vom übertriebenen Ernst eines machtbewussten Kindes gezeichnet sind, will nicht als jemand in die Geschichte eingehen, der im Wald mit seinen Freunden Soldat spielt. Das Schlussbild zeigt ihn auf einem Marktplatz in dunklem Mantel und Anzug als eben den Politiker, der dem System mit seiner in Reihen angetretenen Privatarmee den Grund liefert, ihn unbedingt einzubeziehen.

„Die Anhänger sehen aus wie ich“, sagt der 37-jährige Regisseur und findet, das sei sehr viel beängstigender als die Gewehre. „Der Faschismus wurde erst gefährlich, als normale Leute aus der Mittelschicht ihn zu verbreiten begannen.“

Extreme Nahaufnahmen. Szene aus "Genezis".

© Genesis Production

Was mit Krieg gemeint ist, beschreibt der Ungar Árpád Bogdán in „Genezis“ sehr genau. Der düstere Episodenfilm nähert sich seinen drei Protagonisten über extreme Nahaufnahmen. Da ist der Roma-Junge Ricsi, an der Hand seiner Mutter, Gittertüren schließen sich hinter ihm, endlose Flure, bis er seinem Vater im Besucherraum eines Gefängnisses gegenübersitzt. Er solle gut auf seine Mutter aufpassen, sagt der Mann zu seinem Sohn. Kurz darauf reißt die Mutter ihr Kind aus dem Bett, Schüsse peitschen durch die Nacht, Flammen züngeln überall empor. Der Junge soll laufen, so schnell er kann, sagt sie und hebt ihn durchs Fenster. Dann wird sie erschossen, der Junge wird im Rücken getroffen – und nicht einziges Mal gibt es die Distanz einer Totalen.

Die Täter sind betrunkene ehemalige Geheimdienstleute, wie sich herausstellt. Auch einer von ihnen wirkt ziemlich normal, jedenfalls auf seine Freundin, eine Studentin und passionierte Bogenschützin, aus deren Perspektive das Geschehen weitererzählt wird. Als Virág (Enikö Anna Illési) das Geheimnis ihres Freundes lüftet, verrät sie ihn, so dass er vor Gericht gestellt wird. Diesen letzten Teil der Aufarbeitung inszeniert Bogdán nicht als Justizdrama. Er sucht vielmehr nach einer höheren Gerechtigkeit, wenn er die Strafverteidigerin des Täters (Anna Marie Cseh) mit ihrer Rolle hadern lässt.

Wie eine aufgerissene Wunde

So holt „Genezis“ auf beeindruckende Weise drei Schicksale aus ihrer isolierten Wahrnehmung heraus , die im ungarischen Alltag nebeneinander existieren. Es ist der Hass der anderen, der sie zusammenzwingt, den Jungen, die Freundin, die Anwältin. Sie selber hassen nicht – das lässt sie das Richtige tun.

Was die Frage aufwirft, warum schweigende Mehrheiten sich so oft gleichgültig zeigen gegenüber dem Leid derjenigen, die unter Hass, Gewalt, Folter leiden. Gibt es einen Pakt des Vergessens wie in Spanien, wo selbst vier Jahrzehnte nach dem Ende der Franco-Herrschaft niemand etwas über dessen Verbrechen wissen will? Obwohl es hunderttausende Tote sind, die überall in Spanien verstreut in Massengräbern liegen, erinnern sich nur jene, die einen Vater oder eine Mutter darin verscharrt wissen. Verdrängt sind auch die einstigen Folterungen linker Studenten durch Mitglieder der Staatspolizei. Oder der Verbleib jener Babys, die Müttern in prekärer sozialer Lage nach der Geburt gestohlen wurden.

„The Silence of Others“ von Almudena Carracedo und Robert Bahar verfolgt über sechs Jahre hinweg, wie Spanier vor internationalen Gerichten um Aufklärung ersuchen, die ihnen durch das Amnestiegesetz daheim verwehrt bleibt. Am Ende sieht man die Aushebung eines Massengrabes, an deren Rand eine weißhaarige Greisin sitzt und auf die Gebeine ihres Vaters wartet. Sie tut das schon ein Leben lang. Dieses Loch mit den übereinander geworfenen Toten darin ist wie eine aufgerissene Wunde. Wie kommt es, dass der Schmerz keinen Zorn auslöst? Beim Anblick der Knochen fallen sich die Menschen weinend in die Arme.

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