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Exzentrisch: Die Mutter der männlichen Hauptfigur lebt ihre Wünsche beim Rollenspiel aus.

© Reprodukt

Graphic Novel: Die Leidenschaft des Friseurs

Vielschichtig, klug konstruiert und nur auf den ersten Blick harmlos: Camille Jourdy ist mit der Graphic Novel „Rosalie Blum“ einer der herausragenden Comicromane des Jahres gelungen.

Mit der jungen französischen Comicautorin Camille Jourdy, die kürzlich beim Internationalen Literaturfestival Berlin zu Gast war, ist es ein bisschen wie mit den von ihr gezeichneten Figuren: Auf den ersten Blick wirken sie harmlos, freundlich und ein wenig naiv – aber in Wirklichkeit haben sie es faustdick hinter den Ohren.

Jourdys in Frankreich preisgekrönte und jetzt auf Deutsch erschienene Graphic Novel „Rosalie Blum“ vermittelt beim oberflächlichen Durchblättern mit seinen aquarellierten Bildfolgen anfangs fast den Anschein eines Kinderbuches. Bei der Lektüre entpuppt sich die Erzählung jedoch als vielschichtiger, ausgereifter und klug konstruierter Comicroman für Erwachsene, der seinesgleichen sucht.

Inspiriert von eigenen Tagträumen schildert Jourdy, wie sich die Lebenswege mehrerer exzentrischer Menschen auf unerwartete Weise kreuzen und einander nachhaltig beeinflussen.

Es beginnt damit, dass der schüchterne Friseur Vincent einer Unbekannten unbemerkt auf ihren Wegen folgt und sich in ihr Leben einschleicht. Die wiederum bekommt davon mehr mit als er ahnt – und beschließt, ihm eine Lektion zu erteilen. Ausgangspunkt einer verwickelten Geschichte voller unerwarteter Wendungen.

Verfolgter Verfolger: Der schüchterne Friseur Vincent.

© Reprodukt

Für die Entwicklung der beiden Hauptfiguren und der zahlreichen liebevoll ausgeführten Nebencharaktere nimmt sich die 1979 geborene Jourdy viel Zeit. Mit ruhigem Erzähltempo und bis ins letzte Detail ausgeklügelten Bildern führt sie jede Person so einfühlsam ein, dass man schon bald meint, es mit realen Menschen zu tun zu haben. So lässt sie wiederholt die schrullige Mutter der männlichen Hauptfigur im Rollenspiel mit kleinen Puppen oder Selbstgesprächen Einblicke in ihre Gefühlswelt und die Beziehung zu ihrem Sohn geben. „Für jeden Charakter muss ich wissen, was für ein Leben er hat, welche Kindheit er hatte, wie die Beziehung zu seinen Eltern war, was ihm wichtig ist, wie er sein Leben verbringt, welche Freunde er hat, und in was für einem Haus er lebt“, hat die Autorin einmal über ihre Arbeitsweise gesagt.

Geheimnisvolle Frau: Die Hauptfigur auf dem Buchcover.

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Jourdys psychologisches Gespür ist beachtlich: Jede Figur wird schonungslos, aber charmant mit ihren menschlichen Schwächen und Sorgen vorgestellt, ohne dabei vorgeführt zu werden. Die hellen, leicht karikierenden und von warmen Farben geprägten Bilder dienen ihr als Kontrastmittel: So lassen sich auch peinliche Momente, absurde Sexphantasien oder Freudsche Mutter-Sohn-Konflikte illustrieren, ohne dass es diffamierend wirkt.

Camille Jourdy: Rosalie Blum, aus dem Französischen von Claudia Sandberg, Handlettering von Maya della Pietra, Reprodukt, 362 Seiten, 29 Euro.

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