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© Hatje Cantz

Comicbiografie von Hilma af Klint (1862-1944): Im Kopf der Künstlerin

Für seine Biografie von Hilma af Klint taucht Comiczeichner Philipp Deines tief in die Welt einer Kunst-Pionierin ein, deren Verdienste lange unbeachtet blieben.

Von Birte Förster

Wenn die Rede von der Entstehung der abstrakten Kunst ist, kommen in der Regel die Namen von männlichen Künstlern ins Spiel. So gelten Wassily Kandinsky, Kasimir Malewitsch und Piet Mondrian als Vorreiter dieser Kunstform. Dass aber die die schwedische Künstlerin Hilma af Klint (1862-1944) bereits Jahre zuvor ihre ersten abstrakten Werke schuf, blieb von der Kunstwelt über viele Jahrzehnte unbeachtet. Erst seit einigen Jahren wird ihr mit Ausstellungen, einem Film und einer Biografie eine größere Aufmerksamkeit zuteil. Dazu trägt nun auch die Graphic Novel „Die 5 Leben der Hilma af Klint“ (Hatje Cantz, 120 S., 28€) von Philipp Deines bei.  

Wie der Titel des Bandes bereits andeutet, setzt sich der Berliner Künstler darin in fünf Etappen mit Hilma af Klints Lebensweg auseinander, ihrem familiären Hintergrund und ihren Beziehungen. Vor allem geht es aber um ihren Weg als Künstlerin, wie sie sich nach und nach von der gegenständlichen Kunst loslöst und mutig in ein damals noch unbekanntes Feld vorstößt: die Abstraktion. Deines thematisiert aber auch die Schwierigkeiten, mit denen eine weibliche Künstlerin gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu kämpfen hat. 

Der frühe Tod ihrer Schwester prägt Hilma af Klint

Die grafische Adaption einer Biografie birgt in der Regel die Gefahr, dass Stationen des Lebens abgearbeitet und bebildert werden, ohne eine eigene künstlerische Auseinandersetzung zuzulassen. Philipp Deines ist davon weit entfernt. Er greift nicht nur entscheidende Ereignisse und Lebensabschnitte auf, sondern dringt auch ins Innere der Künstlerin vor, in ihre Gedanken und ihre Wahrnehmung der Welt. Dabei verschwindet er nicht hinter der Figur der Hilma af Klint, sondern setzt eigene künstlerische Akzente.         

Ausbruch aus der gegenständlichen Welt: Eine Szene aus „Die 5 Leben der Hilma af Klint“.

© Hatje Cantz

Schrittweise nähert er sich ihr an, beschreibt zunächst ihr Aufwachsen und die frühen Einflüsse auf ihre Kunst. Dazu zählen auch Erlebnisse als Jugendliche: Sie nimmt an spiritistischen Séancen teil, die Teilnehmerinnen treten dabei in Kontakt mit den Geistern Verstorbener und bringen deren Signale unkontrolliert aufs Blatt. Es sind erste Versuche, über die gegenständliche Welt hinauszuwachsen. Auch später nimmt sie immer wieder an Sitzungen zum so genannten „automatischen Zeichnen“ teil. Dabei entstehen unzählige Zeichnungen mit rätselhaften Formen.

Die Bilder sind direkt durch mich hindurch gemalt worden.

Hilma af Klint

Ihr Hang zur geistigen und abstrakten Welt hängt auch mit dem frühen Tod ihrer geliebten, kleinen Schwester Hermina zusammen. Ein Ereignis, das sie zutiefst erschüttert. Ihr Leben lang ist die Schwester Teil ihrer Gedankenwelt. Entscheidend ist für sie aber auch die Rolle ihres Vaters: Dass Hilma af Klint später an der Königlichen Akademie der freien Künste in Stockholm studieren kann, hat sie auch ihm zu verdanken. Denn als liberal Denkender ermöglichte er seinen Töchtern eine umfassende Ausbildung.

Deines setzt diese biografischen Bausteine im ersten Teil mit ruhigem Erzähltempo und klassisch geradliniger Panelstruktur zusammen. Die Figuren sind oft reduziert gezeichnet, mit klaren Linien ganz im Stil der Ligne Claire. Landschaften und Architektur wiederum sind skizzenhaft und detailliert. Durch die unterschiedlichen Zeichentechniken setzen sich Vordergrund und Hintergrund oft deutlich voneinander ab. Auf allen Seiten sticht die kraftvolle, abwechslungsreiche Kolorierung hervor.

Eine weitere Doppelseite aus „Die 5 Leben der Hilma af Klint“.

© Hatje Cantz

Das Ganze bildet die Grundlage, um ihre frühe Phase als Künstlerin aufzugreifen. An der Kunstakademie lernt sie das klassische künstlerische Handwerk: das genaue Beobachten, die detailgetreue Wiedergabe der sichtbaren Welt. Das verschafft ihr nach dem Studium einen Job am Institut für Veterinärmedizin, wo sie Zeichnungen von anatomischen Details anfertigt. Zu dieser Zeit liegt ihr Schwerpunkt noch auf der Porträt- und Landschaftsmalerei.

Philipp Deines: Die 5 Leben der Hilma af Klint, Hatje Cantz, Nachwort von Julia Voss, 120 Seiten, 120 Abb., Hardcover, 28 €, 21 x 29 cm, ISBN 978-3-7757-5152-0

© Hatje Cantz

Und dann kommen die künstlerischen Ausbrüche. Nicht nur Hilma af Klints, sondern auch das, was Deines daraus macht. Wie er ihre Wandlung hin zur Abstraktion grafisch nachempfindet, ist grandios. Immer häufiger werden die Panelrahmen nun überschritten. Zu sehen ist eine Künstlerin, mal ekstatisch, mal verzweifelt, aus der Farben und Formen geradezu herausbrechen. Speed Lines und Bewegungsphasen vermitteln eindrücklich die Dynamik ihres Schaffensprozesses. „Die Bilder sind direkt durch mich hindurch gemalt worden“, schreibt sie einmal in ihr Notizbuch. „Ohne Vorzeichnung, mit großer Kraft!“ In ihren Werken ging es ihr vor allem um ein Verständnis der Welt und der menschlichen Existenz. 

Man merkt: Deines möchte genau verstehen und transportieren, wie diese Künstlerin tickt. Immer wieder sind groß und in Aktion Hand und Pinsel zu sehen, einzelne Pinselstriche nehmen ganze Panels für sich ein. Fast ist es so, als ob er in einzelne Farbkleckse eintaucht, sich ganz ihrer Linienführung hingibt.

Überaus geschickt zeigt er außerdem, wie sich Eindrücke, Erlebnisse und Gedanken erst vor ihrem inneren Auge und schließlich auf der Leinwand in Kunst verwandeln. Wenn sie in der Natur ist, alles genau beobachtend, erkennt sie hinter deren Komplexität verborgene Kräfte. Deines greift Elemente aus ihren Werken auf und verwandelt diese in expressiven ganz- oder doppelseitigen Grafiken in etwas Neues, Eigenes. Er bettet Hilma af Klint in ihren Kosmos aus floralen und geometrischen Gebilden, lässt sie visuell mit ihrer Kunst verschmelzen. So wird er ihr mehr als gerecht, gleichzeitig stehen seine Bilder mühelos als Kunstwerke für sich.     

Hilma af Klint war eine mutige und moderne Frau, die dem Zeitgeist vorauseilte. Das wird in dem Comic deutlich. Zu Lebzeiten reagierten ihre Mitmenschen vor allem mit Desinteresse auf ihre Kunst. Sie erkannte, dass diese für ihre Werke noch nicht bereit waren. Daher verfügte sie, dass ihr Nachlass mit über 1000 Bildern und zahlreichen Notizbüchern erst 20 Jahre nach ihrem Tod gezeigt werden sollten. Heute wird ihr Werk nun endlich angemessen gewürdigt.  

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