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Christian Rohlfs, „Sommerfrische“ (1922), Öl auf Leinen

© Galerie Nierendorf

Blick in die Seele: Christian Rohlfs und Emil Nolde leuchten in der Galerie Nierendorf

Die Berliner Ausstellung „Zwei Einzelgänger des Expressionismus“ zeigt die Vielschichtigkeit im Werk beider Maler auf.

Von Jens Grandt

Zwei Eigenbrötler in einer gemeinsamen Personalausstellung: Christian Rohlfs und Emil Nolde als Brüder im Geist? Sie gingen ihre Wege und waren doch befreundet. Schon einmal, 1976, hat die Berliner Galerie Nierendorf das Werk der beiden im schleswig-holsteinischen Tiefland geborenen Künstler gegenübergestellt. Beide stammten aus dem bäuerlichen Milieu, was prägenden Einfluss auf ihre Weltsicht hatte. Die gegenwärtige Auswahl lädt neuerlich zum Vergleich ein: der unterschiedlichen Stilmittel wie der Gemeinsamkeiten ihrer Motivwahl.

Rohlfs ist, neben Lovis Corinth, der erste deutsche Maler und Grafiker, der auf ganz eigenständige Weise den Weg vom Impressionismus zum Expressionismus fand. Lange blieb ihm die Anerkennung versagt. Er war der Älteste unter den Pionieren der modernen Malerei, 55 Jahre. Emil Nolde war 18 Jahre jünger, als sie sich 1905 begegneten. Im westfälischen Soest haben sie, „verstehend ohne viel Worte“, wie Nolde sich erinnerte, gemeinsam gemalt. „Straße in Soest“ (5800 Euro) und der blaue Doppelhanddruck des „Paulinum“ sind die frühesten Exponate der Ausstellung.

Rohlfs beschäftigte sich früh mit der Gegenstandslosigkeit

Rohlfs sah wie kaum ein anderer Künstler seiner Zeit künftige Tendenzen voraus. Sehr früh beschäftigte er sich mit gegenstandslosen Elementen und Strukturen, die wie in der Tempera „Blaue Kapelle“ fast wichtiger sind als die Bildinhalte. Typisch für Rohlfs ist, im Unterschied zu Nolde, die Vielschichtigkeit des Werks. Er steigerte sein Gestaltungsvermögen von einem Lebensabschnitt zum anderen und vollendet noch als über Achtzigjähriger ein „Spätwerk“, das vor allem in Ascona entstand, zu letzter Reife – in dieser Intensität und in der modernen Kunst ohne Beispiel.

Der erste Stilwandel geschieht etwa 1910/12. Es entsteht ein farbenprächtiges Œuvre. Landschaften und prächtige Blumenstillleben sind bevorzugte Gegenstände. Später werden seine Temperabilder dezenter. Er zeichnet und malt das Ungefähre, und doch ist es stets konkret. Indem er, wie Nolde, das Einfache, Klare, Wahrhaftige zu gestalten versucht, dringt er zur „Seele“ seiner Bildmotive vor. In diesem scheinbaren Widerspruch liegt der Reiz seiner Bilder und auch manches Rätselhafte. „Die Darstellung der Blumen führen weit über das hinaus, was ihr Abbild wäre“, schrieb einmal Florian Karsch, der langjährige Chef der Galerie. Beispielhaft für diese „Beseelung“ sind die „Zwei Lotosblüten“ in Wassertempera, die aus einer nebulösen Umgebung herausstrahlen.

Neben Porträts junger Frauen, karikierenden, aber auch anklagenden Holzschnitten wie „Der Gefangene“ (1918), einem Handdruck des Künstlers (12.000 Euro), widmet sich Rohlfs biblischen Themen – auch dies eine Gemeinsamkeit. Für ihn war der Erste Weltkrieg Auslöser, sich verstärkt den Symbolfiguren der Mythen, der Geschichte und Religion zuzuwenden. Der mit sorgenvoller Mine gestikulierende „Prophet“ (90.000 Euro) kann als Antwort auf die Zerrüttung der Weimarer Republik gesehen werden. Noldes Pendant ist der ebenfalls ernst dreinschauende „Prophetenkopf“.

Nolde hoffte auf einen Ruf als „Staatskünstler“

Von den Auswirkungen der fatalen Kulturpolitik der Nationalsozialisten waren beide betroffen. Christian Rohlfs Werk wurde ab 1937 als „entartet“ diffamiert, der Künstler mit Verkaufs- und Ausstellungsverbot belegt. Seine Arbeiten wurden aus deutschen Museen entfernt. Emil Nolde wurde zunächst nicht behelligt, schließlich war er der Nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig beigetreten und hoffte, Hitlers „Staatskünstler“ zu werden. Geholfen hat es ihm nicht. Weder sein Stil noch seine Bildthemen entsprachen dem Kunstkanon der Nationalsozialisten.

Die Kuratorin der aktuellen Ausstellung, Susanne Trierenberg, hat sich deswegen auf die frühen Werke konzentriert. Darunter selten zu sehende Original-Holzschnitte wie „Der Pflüger“ oder „Mann und junges Mädchen“ (1300 Euro) und die großartige Persiflage „Kranker, Arzt, Tod und Teufel“ (12.000 Euro). Preise für die Südsee-Aquarelle erhält man Nachfrage. Nicht zum ersten Mal geboten, aber immer wieder beeindruckend Noldes finsteres Selbstporträt „Düsterer Männerkopf“, hier in einer unikalen Farbfassung. Es mag die Ahnung eines konfliktreichen Lebens zu geben.

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