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Kelvin Harrison Jr. als Geigenvirtuose und Komponist Joseph Bologne, Chevalier de Saint-Georges, in Stephen Williams' Biopic "Chevalier".

© WALT DISNEY

Black Lives Matter, auch in der Klassik: Der schwarze Mozart

Umschwärmt und diskriminiert: Ein Biopic erinnert an den dunkelhäutigen französischen Geigenvirtuosen und Komponisten Chevalier de Saint-Georges

Das Geigen-Duell mit Mozart hat es in sich. Wolfgang Amadeus kommt nicht mehr mit, als sein Gegenspieler immer verwegener improvisiert. Das Publikum ist begeistert.

Hat das Pariser Duell je stattgefunden? Verbürgt ist nur, dass Mozart und Joseph Bologne, Chevalier de Saint-Georges einander begegneten, als sie beide im Sommer 1778 im Appartement eines Barons logierten. Aber in der Tat war der Chevalier ein umschwärmter Protegé der besseren Pariser Gesellschaft.

Der Geiger, Dirigent, Komponist und Fechtvirtuose leitete das größte Orchester der Stadt, er gab Haydns „Pariser Sinfonien“ in Auftrag, ging bei Hofe ein und aus, hatte Gönner und Fans. Seine Opern sind heute weitgehend verschollen, erhalten sind vor allem Violinkonzerte, Quartette und Sinfonien concertante im galanten Stil, die auch Mozart beeinflusst haben sollen.

Der aus Guadeloupe stammende dunkelhäutige Sohn eines Plantagenbesitzers und einer Sklavin wäre beinahe sogar Chef der Pariser Oper geworden. Aber die Sänger:innen wollten keinen „Mulatten“ zum Chef, wie sie in einer Petition an Marie-Antoinette schimpften.

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„Chevalier“, der Kostümfilm des kanadischen Regisseurs Stephen Williams, der jetzt auf Disney+ herauskommt, passt zur Diversitätspolitik des Unterhaltungskonzerns. Black Lives Matter, auch beim Blick zurück in die Geschichte. Warum nicht ein Film über den „schwarzen Mozart“?

Dabei schlingert das Biopic mit dem seinerseits virtuos zwischen Rockstar, Diskriminierungsopfer und Freiheitskämpfer changierenden Kelvin Harrison Jr. in der Titelrolle unentwegt zwischen Fakt und Fiktion. Im Film wird der von Marie-Antoinette (Lucy Boynton) später zum Ritter geschlagene kleine Joseph vom Vater in einem Pariser Konservatorium zurückgelassen – seinem Biografen zufolge ist die Mutter (Ronke Adékoluejo) jedoch von Anfang an in Frankreich dabei. Er lernt Geige, Komposition und Fechten, muss überall der Beste sein: die Überlebensmethode von Minderheiten.

Die Stimmung am Vorabend der Französischen Revolution ist düster, unberechenbar, chaotisch. Mal bewegt sich die nervöse Kamera – Joseph muss immer auf der Hut sein – in smoothen Interieurs, nur von Kerzenleuchtern erhellt. Mal sieht Paris billig computergeniert aus, trotz Dreharbeiten in Prag. Auch der begradigende Plot (Drehbuch: Stefani Robinson) kommt Joseph Bolognes irrwitziger Biografie nicht bei, trotz gelegentlich „verstimmtem“ Soundtrack.

Wollen alle mehr Freiheit: der Komponist Chevalier de Saint-Georges (Kelvin Harrison Jr.), die Sängerin Marie-Josephine (Samara Weaving) und der Herzog von Orleans (Alex Fitzalan) im Biopic „Chevalier“.

© LARRY HORRICKS/Courtesy of Searchlight Pictures/20th Century Studios

Der echte Joseph lieferte sich zum Beispiel in London ein Schauduell mit der transsexuellen Chevalière d’Eon. Hier bleibt es bei gängigen Duellen, auch vor der Kamera muss Joseph sich ständig beweisen. Vor allem beim Opern-Kompositionswettstreit mit Christoph Willibald Gluck um den Direktorenposten, den es so ebenfalls nie gab (der legendäre „Buffonistenstreit“ drehte sich allein um Glucks „Iphigenie in Aulis“). Und während das Libretto zu Chevaliers Oper „Ernestine“ im Film von seiner Mäzenin verfasst wird, stammt es in Wahrheit von Choderlos de Laclos, dem Autor der „Gefährlichen Liebschaften“.

Auch eine Lovestory, unterlegt mit seichten romantischen Tönen, wird Joseph angedichtet. Die schöne Sängerin Marie-Josephine (Samara Weaving) kämpft ihrerseits mit ihrem adelig-konservativen Ehemann um Ebenbürtigkeit und wirbt bei Josephs Revoluzzerfreunden für die Sache der Frauen. Umgeben von Eifersucht, Intrigen, Rassismus und Klassendünkel, hat die Liaison keine Chance.  

Aufstieg und Fall eines Stars, der die europäische Bühne betrat, als die Sklaverei gerade abgeschafft worden war, bis Napoleon auch diese Freiheit wieder kassierte: „Chevalier“ erinnert an ein Zeitfenster der Hoffnung, eine historische, vertane Chance. Während der Revolution, heißt es schnell noch im Abspann, befehligte der Chevalier das erste europäische Regiment mit Schwarzen Soldaten. Er fiel in Ungnade, saß im Gefängnis, ging nach Haiti, starb in Paris, verarmt und vergessen. Letzteres hat er dann wieder mit Mozart gemeinsam.

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