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Otto Pienes „Manned Helium Sculpture“ 1969 in Boston

© 2024 ProLitteris, Zürich: Otto Piene Estate Foto: Otto Piene Archiv; Connie White

Ausstellung von ZERO-Künstler Otto Piene in Basel: Der den Himmel geküsst hat

1961 schrieb Otto Piene das Manifest „Wege zum Paradies“. Eine Retrospektive des 2014 verstorbenen Künstlers im Museum Tinguely in Basel greift den Titel auf und legt den Fokus auf die Skizzenbücher.

Von Alexandra Wach

Am Ende des Krieges besaß er nur noch sein Skizzenbuch und eine kleine Schachtel mit Wasserfarben. Als 15-Jähriger wurde Otto Piene zum Kriegsdienst eingezogen. Der Flakhelfer musste oft in den Himmel schauen. Vor allem nachts waren die Lichtreflexe der Explosionen so gewaltig, dass er sie nicht mehr aus dem Kopf bekam. Selbst dann, als der Luftraum über ihm keine Gefahr mehr bedeutete.

Gleich am Anfang trifft man in einer Vitrine auf Zeugnisse dieser Zeit. Die Skizzenbücher des Teenagers zeigen Panzer im Nebel oder Schnee, Felder in der Abenddämmerung. Und immer wieder Suchscheinwerfer, die den Himmel in ein Spektakel aus Licht und Feuer verwandeln. Das Traumatische dieser Blätter wollte Piene später nicht nur hinter sich lassen. Er verwandelte die Angst trotzig in pure Lebensbejahung. In seinem Manifest „Wege zum Paradies“ schrieb er: „Ja, ich träume von einer besseren Welt. Sollte ich von einer schlechteren träumen?“

Kunst mit den Kräften der Natur

Als Vehikel diente ihm zeitlebens seine Kunst, zunächst in der mit Heinz Mack gegründeten ZERO-Gruppe, die für das Nachkriegs-Deutschland die Kunst von Null auf neu justieren wollte: nicht mit Pinsel und Farbe, sondern den elementaren Kräften der Natur wie Licht, Bewegung, Wind, Feuer, Luft und Energie. Neben Lucio Fontana und Yves Klein sah sie in dem Schweizer Jean Tinguely einen ihrer Ziehväter. Piene inszenierte seit 1959 Lichtballette, in denen er den Tanz von Scheinwerfern zunächst manuell erzeugte.

Nach der Begegnung mit Tinguely trieb er die Lichtquellen mit Elektromotoren an. Zu den Balletten gesellten sich „Rasterbilder“, die nicht selten an Landschaftsmalerei erinnern. Da löst sich schon mal eine Stadtansicht in ein gelbes Feld vibrierenden Lichts auf. Die mit Filzstift hergestellten „Rasterskizzen“ wiederum wimmeln von Augenformen, die auf die Bedeutung des Sehens verweisen.

Vom Himmel und vom Fliegen träumen

Wer vom Himmel nicht lassen kann, fühlt sich natürlich vom Fliegen angezogen, von der mythischen Gestalt des Ikarus, die vor allem in Zeichnungen zum poetischen Aushängeschild von Pienes Sky Art avancierte. Auch Kolleginnen beteiligten sich an seinen paradiesischen Entwürfen. 1982 hatte Piene seinen Spaß daran, die Avantgarde-Cellistin Charlotte Moorman mit ihrem Instrument auf heliumgefüllten Schläuchen in 30 Meter Höhe steigen zu lassen.

Kann vom Himmel nicht lassen: Ikarus-Skizze von Otto Piene.

© President and Fellows of Harvard College, 2019.14.69

Das Sky Event mit dem Titel „Sky Kiss“ fand im Rahmen des Festivals Ars Electronica in Linz statt und ist nur eine von vielen Arbeiten, die in aufblasbaren Schläuchen mitunter sogar die maritimen Formen von „fliegenden“ Tentakeln und Anemonen widerspiegeln. Vor allem in den vorbereitenden Skizzen lässt sich studieren, wie Piene seine Medienarbeiten entwickelte.

Skizzenbücher im Original und animiert

Die Kuratorinnen Sandra Beate Reimann und Lauren Elizabeth Hanson legen deshalb den Fokus auf 73 Skizzenbücher aus Pienes Nachlass. 24 von ihnen werden gezeigt, im Original oder animiert.

Eine Testinstallation für Otto Pienes Olypmpischen Regenbogen.

© 2024 Pro Litteris, Zürich; Otto Piene Estate Foto: Jean Nelson, Otto Piene Archiv

Entlang des üppigen Dokumentationsmaterials lässt sich die Entwicklung zu den spektakulären Aktionen im Außenraum nachvollziehen. 1972 ließ Piene zur Olympiade einen riesigen Regenbogen über den Olympiapark schweben, in einer Zeit, als das Stichwort „queer“ noch nicht existierte. Er bestand aus 460 Meter langen, mit Helium gefüllten Schläuchen, die ein 230-köpfiges Team vom Boden aufsteigen ließ.

Den Weltverbesserer und Forscher zog es nach der Auflösung von ZERO in die USA, wo er ab den 1970er Jahren am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston eine Professur für Medienkunst antrat und ein Medienlabor für künstlerisch-optische Experimente leitete. Hier setzte er seine Experimente unter der Devise fort: „Die allseitige Expansion, das Katapultieren des Schauenden in den Raum, wo freier Atem ist. In diesem Himmel ist das Paradies auf Erden.“

Dazu passt, dass Piene irgendwann mit einem Scheinwerfer den Mond beleuchten wollte. Im bildüberfluteten Finale aber gibt die Sonne den Takt vor: Seine Stimme wiederholt mechanisch „the sun, the sun, the sun“, während psychedelisch bemalte Dias auf Karussellprojektoren die Betrachter in einen Trancezustand versetzen. Es empfiehlt sich auf den vielen Kissen Platz zu nehmen. Und den verzauberten Blick nach oben zu richten.

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