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Was machen wir heute?: Auf den Zoll warten

Am Bundesplatz sprechen einen ständig Leute an: „Kennen Sie die Kufsteiner Straße?“ Zum Glück mag ich Kufstein.

Am Bundesplatz sprechen einen ständig Leute an: „Kennen Sie die Kufsteiner Straße?“ Zum Glück mag ich Kufstein. Auf der Journalistenschule in Wien spielte dieses Städtchen eine zentrale Rolle. Bei jeder Themenidee, lernten wir, muss man sich als erstes die Frage stellen: „Interessiert das den Zahnarzt in Kufstein?“ Ich war wenig überrascht, dass es an der Kufsteiner Straße in Berlin so spannend ist. Dort steht ein atemberaubendes Zollamt. Wer ein Paket aus der weiten Welt bekommt, darf mit seinem Abholschein hinpilgern.

Neulich habe ich Y. begleitet. Lange Warteschlangen. Ich hatte mein aktuelles Lieblingsbuch dabei: „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“. Viele Kapitel später erreichten wir den Schalter. Ein dicker Beamter musterte den Abholschein wie eine Krankenakte. „Sie werden aufgerufen“, sagte er ernst, und deutete auf einen überfüllten Wartesaal. An den Wänden Werbeplakate für die Berliner Polizei. Schön. Das Zollamt ist eine faszinierende Welt mit eigenen Gesetzen: Manche Leute kamen lange nach uns, und wurden sofort aufgerufen. Andere waren bereits mumifiziert. Kurz vor Schalterschluss unser Moment: Ein mächtiges Paket wurde herbeigeschleppt. Y. musste es am Schalter öffnen. Könnten ja Waffen drin sein. Knäuel aus Zeitungspapier und in der Mitte eine kleine Box – mit Ohrringen drin. Ein verspätetes Weihnachtsgeschenk.

„In Ordnung“, sagte der Beamte. Y. musste nichts bezahlen. Ein Glückstag! Manchmal kostet der Zoll mehr als das Geschenk. Und einmal bekam Y. Kopfweh-Tabletten aus den USA geschickt. Die Einfuhr solcher Medikamente ist verboten. Daher hat der Zollbeamte jede Pille einzeln mit einem Gummihammer zertrümmert.

Später sah ich auf der Prenzlauer Allee ein Mädchen mit einem lustigen Tier an der Leine. Was ist das?, fragte ich. „Ein Mini-Schwein“, erklärte das Mädchen, „süß, nicht wahr? Stammt aus Minnesota“. Hoffentlich illegal importiert!, dachte ich. Till Hein

Empfehlenswert, nicht nur für lange Tage auf dem Zollamt: „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ von Christoph Ransmayr.

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