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Architektur als Materiallager: Die Werkstatt im Deutschen Pavillon.

© Jelka von Langen

18. Architekturbiennale in Venedig: Die Zukunft war gestern

Tastende Suche, ungesicherte Praxis, hohes Niveau: Am Samstag beginnt in der Lagunenstadt die Architekturbiennale. Eine erste Besichtigung der Länderpavillons in den Giardini.

Nichts kann bleiben, wie es war – das ist in etwa der Grundton dieser am Sonnabend beginnenden 18. Architekturbiennale von Venedig. Vielmehr: Es ist bereits nichts mehr wie zuvor. „Das Laboratorium der Zukunft“ ist diese Biennale überschrieben, wohl mangels eines präziseren Titels; denn allenthalben ist weniger exaktes Laboratorium zu sehen als tastende Suche und noch ungesicherte Praxis.

Lesley Lokko, die Künstlerische Direktorin mit Wurzeln in Ghana, hat für die von ihr geleitete Hauptausstellung im Arsenal und im früher allein Italien vorbehaltenen Zentralpavillon der Giardini ausdrücklich nicht „Architekten“ eingeladen, sondern weit darüber ausgreifend „Praktiker“. Es sind 89 an der Zahl, die machen und handeln, um irgendwie mit den Problemen fertigzuwerden, die sich immer weiter aufgehäuft haben. Im Vorfeld sprach Lokko viel von „Dekolonisierung“ und „Dekarbonisierung“ als Leitbegriffen ihres Konzepts, doch zum Glück bleibt der moralische Zeigefinger unten. 

Die in der Mehrzahl afrikanischen, freilich meist im „globalen Norden“ mitverankerten „practitioners“ zeigen Situationen ihrer jeweiligen Länder auf, aber ohne Verbissenheit, sondern in oftmals beeindruckenden Installationen. So hat Kate Otten einen Meteoriteneinschlag ausgemacht, der das Schicksal ihrer Heimatstadt Johannesburg bis heute beeinflusst, während Sean Canty die Hütten seines Urgroßvaters in South Carolina in rotleuchtende Baukunst transformiert.

Schlüsselbegriff „Erhaltung“

Ibrahim Mahama aus Ghana greift die afrikanische Moderne der Aufbruchszeit ab 1960 auf – der übrigens das Londoner Victoria & Albert Museum eine eindrucksvolle Neben-Ausstellung im Arsenal widmet –, und Mariam Issoufou Kamara aus Niamey im Staat Niger zeichnet die Umrisse lokaler Bauten auf die erdbraunen Wände des ihr gewidmeten Saales im Zentralpavillon.

Pritzker-Preisträger Francis Kéré, der in Berlin studiert hat und weiterhin lebt, gibt den lokalen Bauweisen seiner Heimat Burkina Faso Raum, und das Netzwerk des African Conservation Effort schließlich zeigt seine vielfältigen Projekte zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume im Globalen Süden von Dar Es-Salaam bis Port-au-Prince.

„Erhaltung“ ist ein, wenn nicht der Schlüsselbegriff des Hier und Heute. Unter den 63 nationalen Beiträgen hat sich der deutsche Pavillon, gestaltet von einem achtköpfigen Team um Anh-Linh Ngo von der Zeitschrift „Arch+“, unter dem Titel „Wegen Umbau geöffnet“ wohl das konkreteste Ziel gesetzt. Es gilt, den Materialverbrauch der Kunstbiennale des Vorjahres vor der Müllkippe zu bewahren und erneut nutzbar zu machen.

So hat sich das deutsche Haus sukzessive in ein Materiallager verwandelt. Computertechnik tut unverzichtbaren Dienst, insofern jedes Objekt, von der Holzleiste bis zur Auslegeware, per Strichcode identifiziert werden kann, um für Baumaßnahmen in Venedig zur Verfügung zu stehen. „Kritik zu üben, ist eine Sache, aber zu demonstrieren, dass es funktioniert und zudem schön aussieht, ist das beste Argument“, erklärt Anh-Linh Ngo im Gespräch. „Beim zirkulären Prozess“ – nimmt er das große Ganze in den Blick – „müssen wir von den Materialien ausgehen und fragen, was kann ich damit anfangen? Das führt uns zu einer anderen Art zu denken und zu gestalten.“

So weit ist noch kaum ein Länderbeitrag. Belgien vielleicht; dort wird das noch sehr ominöse Bauen mit Pilzen angedacht, bis hin zum organisch wachsenden Haus. Spanien untersucht die Nahrungsmittelproduktion, zumal in Nicht-Architekturen wie den endlosen Gewächshäusern des Landes. Die USA suchen sich der Aufbereitung des mikroskopisch zerkleinerten, überallhin verbreiteten Plastikabfalls zu nähern.

Baumaterialien aus dem 3-D-Drucker

Uruguay geißelt die Abholzung seiner Wälder, aber auf witzige Weise in Form einer dreiaktigen „Oper“ aus Video und Musik. Japan betrachtet den eigenen, 67 Jahre alten Pavillon als „lebendes Wesen“, das der Pflege bedarf, praktischerweise vermittels einer im Untergeschoss betriebenen Werkstatt. Saudi-Arabien erinnert sich traditioneller Baumaterialien; nur dass sie jetzt aus dem 3D-Drucker kommen. Allein die Schweiz zeigt – nichts. Nichts außer dem eigenen Pavillon, einem Meisterwerk der frühen 1950er Jahre. Minimalismus nach Schweizer Art.

So viele Länderbeiträge wären noch zu erwähnen, durchweg sind allesamt auf hohem Niveau. Nicht in den Giardini, sondern weit hinten im Arsenal landet man in einem grellbunten Shop, dem Beitrag Lettlands. Die 506 nationalen Beiträge der zehn Biennalen seit 2002 sind als Pappaufsteller nach Art von Produkten in Regalen aufgereiht und fordern den Besucher zur persönlichen Auswahl. Das Laboratorium der Zukunft, so das lettische Team, halte Vorschläge, Ideen und Konzepte wie in einer Shoppingmall bereit, diesem ironisch gefeierten „Paradies des Diesseits“. So gesehen gibt es bei dieser 18. Architekturbiennale tatsächlich eine Menge mitzunehmen.

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