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Zeitzeugin. Die Holocaust-Überlebende Evelina Merová.

© Matthias Meisner

Kinderoper „Brundibár“: Musik als Hoffnung in Theresienstadt

Vor 80 Jahren wurde im Konzentrationslager Theresienstadt Hans Krásas Kinderoper „Brundibár“ uraufgeführt

Von Matthias Meisner

Es ist eines der besonders berührenden Kapitel in der Geschichte des Ghettos Theresienstadt: 80 Jahre ist es an diesem Samstag her, dass die Kinderoper „Brundibár“ zum ersten Mal dort aufgeführt wurde, gespielt von Kindern für Kinder. Die Holocaust-Überlebende Evelina Merová erinnert sich in ihrer Autobiografie „Lebenslauf auf einer Seite“ an den „schönen Moment“, an dem sie als „glückliche, dankbare Zuschauerin“ im Publikum auf dem Dachboden der Magdeburger Kaserne sitzt, bei einer der insgesamt mehr als 50 Vorstellungen. Auf der Bühne waren einige ihrer Freundinnen: Ela Stein spielte die Katze, Maria Mühlstein, das jüngste Kind im Raum 28 L 410 des Ghettos, einem der Mädchenzimmer, zuweilen den Spatz und ein paar Mal auch die Aninka. Andere ihrer Kameradinnen, darunter Handa Pollak, sangen im Chor.

„Ganz zauberhaft“ hätten dort ihre Rollen eingenommen, schreibt Merová in ihrem 2016 erschienenen und leider vergriffenen Buch. „Der Inhalt, ein Märchen, war einfach, ergab aber gerade für uns Kinder einen tieferen Sinn“, sagt sie über die tschechische Oper von Hans Krása und Adolf Hoffmeister, die 1938, entstanden ist. Es war jenes Schicksalsjahr, als es mit der 1918 begründeten ersten tschechoslowakischen Republik nach 20 Jahren schon wieder zu Ende ging: Am 1. Oktober annektierte Hitler das Sudetenland, ein halbes Jahr marschierte er mit seiner Wehrmacht in Prag ein. Das rassistische Terror-Regime wurde auf das sogenannte Protektorat Böhmen und Mähren ausgedehnt. Die Erinnerung an die Kinderoper Brundibár aber, so hält es Merová fest, blieb in dieser düsteren Zeit fünf Jahre später „für uns ehemalige Theresenstädter Kinder, die den Holocaust überlebten, bis heute ein sonniger, heller Schein im grauen Ghettoleben“.

Von den vielen Jüd:innen, die aus Theresienstadt nach Auschwitz deportiert wurden, haben nur die wenigsten überlebt. Und von den zwei Insassinnen des Theresienstädter Mädchenzimmers Raum 28 sind überhaupt nur noch zwei am Leben: die 91-jährige Handa Pollak, die 1949 aus der Tschechoslowakei in ein Kibbuz nach Israel emigrierte, und die 92-jährige Evelina Merová, die nach ihrer Befreiung durch die Rote Armee vom Arzt im Sanitätszug nach Leningrad adoptiert wurde und die erst 1995 in ihre geliebte Heimatstadt Prag zurückkehren konnte. Sie lebt dort in einer bescheidenen Ein-Raum-Wohnung in der Neustadt. Pollak und Merová tauschen sich regelmäßig per Skype aus – zwei Zeitzeuginnen an der Schwelle zu einer Zeit, in der keine Holocaust-Überlebenden mehr am Leben sind.

Die Pflege dieser Erinnerungen ist schwer zu denken ohne eine in Berlin-Kreuzberg lebende Schwäbin: Hannelore Brenner, die im April für ihre Arbeit mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. Sie war 1992 aufmerksam geworden, dass der damalige Bielefelder Dramaturg Frank Harders-Wuthenow Brundibár auf die Bühne brachte. „Du wirst hellhörig, willst mehr wissen über diese Oper und vor allem über diese Oper und vor allem über die Menschen, die in Theresienstadt auf der Bühne gestanden haben“, sagte Ute Lemm, die Generalintendantin der Schleswig-Holsteinischen Landestheater, in ihrer Laudatio zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes. Entstanden sei so ein „unglaublich vielfältiges Geflecht, in dessen Mittelpunkt die Frauen und ihre Erfahrungen stehen“.

Als „Brundibár“ von September 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt gespielt wurde, habe die Kinderoper „den jungen Ghettoinsassen Hoffnung auf den Sieg über Hitler“ gegeben, sagt Brenner, „sie wurde zum Symbol des Guten über das Böse“. Die Herbsttransporte des Jahres 1944, bei denen mehr als 18.000 Menschen, darunter das gesamte Brundibár-Ensemble, aus Theresienstadt nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurden, brachte die beliebteste Theaterproduktion im Ghetto zum Verstummen.

Zur ersten Aufführung von „Brundibár“ vor 80 Jahren im Konzentrationslager Theresienstadt erscheint im Musikverlag Boosey & Hawkes in Kooperation mit dem von Brenner gegründeten Verein Room 28 ein Kinderbuch in deutscher Ausgabe: „Brundibár – wie Aninka und Pepíček den Leierkastenmann besiegten“, illustriert von der in Berlin lebenden Chansonsängerin Maria Thomaschke (64 Seiten, 19,95 Euro). Mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes in Berlin soll eine ukrainische Ausgabe folgen.

Auch in der Gedenkstätte Terezín selbst wird das Jubiläum nicht sang- und klanglos vorübergehen: Schüler:innen des Gymnasiums im nordrhein-westfälischen Wülfrath werden am Samstagnachmittag Brundibár zur Aufführung bringen, auf dem Dachboden der Magdeburger Kaserne, wo einst die Uraufführung stattfand. Chor und Orchester des Gymnasiums hatten die Kinderoper seit Anfang 2022 einstudiert. Online aus Israel zugeschaltet werden soll der jüdische Zeitzeuge Zvi Cohen (Autobiografie: „Der Junge mit der Mundharmonika“), 1931 in Berlin als Horst Cohn geboren. Er wirkte während des Zweiten Weltkrieges bei Brundibár in Theresienstadt mit: Das völlig heruntergekommene Ghetto war für einen Propagandafilm der Nazis herausgeputzt worden. Dank seiner Mundharmonika durfte der Junge bei der Kinderoper mitwirken – er und seine Familie entgingen der Deportation.

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