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Feuerwehrleute aus Niedersachsen demonstrieren in der Innenstadt von Hannover für mehr Geld.

© dpa/Michael Matthey

Kaufkraft schrumpf um fast fünf Prozent: Inflation frisst Tariferhöhungen auf

Tarifbilanz 2022: Einzigartiger Reallohnverlust in der Geschichte der Bundesrepublik. Trend geht zu deutlich höheren Einkommen.

Die tariflichen Gehaltserhöhungen in diesem Jahr sind besser ausgefallen als in den zwei Coronajahren zuvor, doch das konnte die enormen Preissteigerungen nicht annähernd ausgleichen: Um durchschnittlich 4,7 Prozent fielen die tariflichen Reallöhne. Die Kaufkraft der Arbeitnehmer, die nach Tarif bezahlt werden – und das sind hierzulande gut die Hälfte, in Ostdeutschland sogar nur 43 Prozent der Beschäftigten – schrumpfte also um fast fünf Prozent. Von einem „in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bislang einzigartigen Reallohnverlust“, schreibt das Tarifarchiv der gewerkschaftlichen Böckler-Stiftung in seiner Jahresbilanz.

Die Gewerkschaften setzten in diesem Jahr Tariferhöhungen um durchschnittlich 2,7 Prozent durch. Gleichzeitig stiegen die Verbraucherpreise im Jahresdurchschnitt voraussichtlich um 7,8 Prozent. Daraus folgt ein Rückgang der Reallöhne um 4,7 Prozent. Dass 4,7 plus 2,7 Prozent 7,4 Prozent ergeben und nicht 7,8 Prozent erklärt die Böckler-Stiftung mit der Methodik und dem Zurückgreifen der Statistiker auf indizierte Werte.

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„Die enorm gestiegene Inflation stellt die Tarifpolitik vor vollkommen neue Herausforderungen, auf die sie immer nur mit einer gewissen Zeitverzögerung reagieren kann“, sagte Thorsten Schulten, Leiter des Tarifarchivs. Aufgrund langfristiger Tarifverträge fanden 2022 in vielen Branchen keine Tarifverhandlungen statt. Oder in den vergangenen Monaten vereinbarte Erhöhungen sowie die Zahlung von steuer- und abgabenfreien Inflationsprämien werden erst 2023 wirksam. Das trifft zu für knapp vier Millionen Beschäftigten in der Metallindustrie. Die ersten 1500 Euro Inflationsprämie werden den Metallern Anfang 2023 gezahlt und die Erhöhung der Entgelttabellen um 5,2 Prozent steht im Juni nächsten Jahres an.

Der Trend geht zu deutlich höheren Tarifabschlüssen.

Thorsten Schulten, Leiter des Tarifarchivs der Böckler-Stiftung

Alles in allem wurden in diesem Jahr Tarifverträge für etwa 7,4 Millionen Beschäftigte abgeschlossen. Weitere zwölf Millionen erhielten eine Gehaltserhöhung aufgrund von Verträgen, die bereits 2021 oder früher abgeschlossen worden waren. Die älteren Tarifverträge sehen dabei mit durchschnittlich 2,6 Prozent etwas niedrigere Tarifsteigerungen vor als die 2022 getätigten Neuabschlüsse (2,9 Prozent). Ohne Berücksichtigung der Metall- und Elektroindustrie mit den Nullmonaten in diesem Jahr liegen die 2022 neu vereinbarten Tariferhöhungen bei 4,2 Prozent „und weisen damit einen deutlichen Trend zu höheren Tarifabschlüssen auf“, schreibt Schulten

In den Corona-Jahren 2020 (mit 2,0 Prozent) und 2021 (1,7 Prozent) waren die Tarifeinkommen schwächer gestiegen. Dennoch kam es 2022 bereits im zweiten Jahr hintereinander zu einem erheblichen Kaufkraftverlust. Während in den 2010er Jahren die Tarifvergütungen auch real kontinuierlich stiegen und sich bis 2020 zu einem Reallohngewinn von 14 Prozent summierten, ging in den beiden Jahren 2021 und 2022 fast die Hälfte dieses Reallohnzuwachses wieder verloren.

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Allerdings gab es 2022 auch einige Tarifbereiche, in denen für viele Beschäftigte die Reallöhne gesichert werden konnten. Das hängt zusammen mit der Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns von 10,45 auf zwölf Euro im Oktober sowie mit dem Arbeitskräftemangel in einigen Branchen. Dazu gehören das Bäckereihandwerk, das Gastgewerbe, die Gebäudereinigung oder das Bewachungsgewerbe. Im Gastgewerbe, das in den Coronajahren Zehntausende Beschäftigte verloren hat, gab es teilweise Tariferhöhungen über 20 Prozent.

Verdi fordert 15 Prozent bei der Post

„Für das Jahr 2023 sind insgesamt deutlich höhere Tarifzuwächse zu erwarten“, schreibt die Böckler-Stiftung, weil die Tarifabschlüsse aus 2022 greifen und weil hohe Forderungen darauf schließen lassen. Die größte Tarifauseinandersetzung steht bereits im Januar an, wenn Verdi und Beamtenbund für mehr als zwei Millionen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes der Kommunen und beim Bund verhandeln. Die Gewerkschaften wollen 10,5 Prozent mehr Geld – eine ähnliche hohe Lohnforderung für den öffentlichen Dienst gab es zuletzt in den 1970er Jahren. Und bei der Deutsche Post legt Verdi noch einen drauf: Für die 160.000 Tarifbeschäftigten bei der Post fordert die Gewerkschaft 15 Prozent mehr Geld.

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