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Wahlsieger: Die Partei des früheren Premier Boiko Borissow bekam rund 26,5 Prozent.

© IMAGO/NurPhoto/IMAGO/Georgi Paleykov

Wahl in Bulgarien : Europa-Befürworter liegen vorn – aber prorussische Partei legt zu

Nach drei gescheiterten Versuchen in Bulgarien eine Regierung zu bilden, gewinnt die rechtsgerichtete Partei GERB. Nun stellt sich die Frage mit wem sie als neue Regierung kooperieren wird.

An Wahlabende mit ihren Ritualen konnten sich die Bulgaren und Bulgarinnen in jüngster Zeit zur Genüge gewöhnen. Der fünfte Wahlabend in zwei Jahren am vergangenen Sonntag erwies sich dennoch als etwas Besonderes, mit seinen ständig wechselnden Pole-Positions wie bei einem spannenden Autorennen.

Dies hatte zur Folge, dass sich die meisten Parteiführer in der Wahlnacht gar nicht zu Stellungnahmen bereitfanden. Offenbar wussten sie nicht, was sie sagen sollten.

Erst spät in der Nacht kristallisierte sich heraus, dass die rechtsgerichtete Partei „Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) von Langzeit-Ministerpräsident Boiko Borissov wie zuletzt im Oktober 2022 als Gewinner aus der Wahl hervorgehen würde. Bis zum Mittag nach der Wahl hat sich Borissov aber noch nicht zum Wahlsieger erklärt. Auch die Führer der übrigen Parteien hielten sich mit Kommentaren zurück.

Nur jeder vierte Wähler nahm teil

Der Begriff Wahlgewinner relativiert sich dadurch, dass nur jeder vierte Wahlberechtigte überhaupt sein Wahlrecht ausgeübt hat. Bei 26,6 Prozent der errungenen Stimmen hat nur jeder Achte der wahlberechtigten Bulgaren und Bulgarinnen Borissovs GERB gewählt.

26,6
Prozent der wahlberechtigten Bulgaren wählten GERB.

Doch egal, ob nun GERB oder das erstmals gemeinsam angetretene liberal-konservative Parteienbündnis von „Wir setzen den Wandel fort“ (PP) und „Demokratisches Bulgarien“ (DB) stärkste politische Kraft werden würde, schon vor der Wahl war klar: Eine Regierungsbildung wird erneut schwierig. So kann es als eine kleine Überraschung betrachtet werden, dass das Wahlergebnis zumindest rein rechnerisch durchaus Variationen für eine Regierungsbildung ermöglicht.

Außer einer Großen Koalition zwischen GERB und dem 24,5 Prozent der Stimmen erringenden Wahlbündnis PP/DB könnten beide jeweils auch Dreierkoalitionen bilden. Möglich wäre das etwa mit der Partei der bulgarischen Türken „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS) und der post-kommunistischen „Bulgarischen Sozitalistischen Partei“ (BSP).

Knapp den Einzug ins Parlament schaffte mit 4,2 Prozent zudem die von dem ebenso prominenten wie umstrittenen Showmaster angeführte Partei „So ein Volk gibt es“ (ITN).

Prorussische Partei profitiert

Angesicht rechnerisch möglicher Regierungsbildungen sehen sich GERB und PP/DB diesmal unter starkem Druck, eine solche in irgendeiner Form zu realisieren.

Dagegen kann als ausgeschlossen gelten, dass sich GERB oder PP/DB zu einer Koalition mit der nationalistischen, russlandfreundlichen Partei „Vesraschdane“ (Wiedergeburt) bereitfinden könnten. Sie hat sich mit ihrer Ablehnung von Corona-Maßnahmen und ihrer erklärten Solidarität mit Russland profiliert, konnte ihren Stimmenanteil kräftig ausbauen und wurde mit 14,3 Prozent erstmals drittstärkste Kraft. Damit lag sie vor der DPS mit 13 Prozent und der BSP mit 9 Prozent.

Der Aufschwung der prorussischen Wasraschdane dürfte wieder einmal die Frage über Bulgariens außenpolitische Orientierung aufwerfen. „Bulgarien droht eine Rückkehr in die russische Einflusssphäre“, warnte der Politologe Dejan Kjuranow am Montag in einem Interview des Staatsradios in Sofia. Er rief beide prowestliche Lager zum „staatsmännischen Denken“ und „einem guten Kompromiss“ auf.

Kiril Petkov, ehemaliger Ministerpräsident von Bulgarien.

© REUTERS/SPASIYANA SERGIEVA

Soziologen schlossen allerdings ein pessimistisches Szenario einer weiteren Neuwahl nicht aus. Möglich wäre das im Sommer oder parallel zu den für Herbst angesetzten Kommunalwahlen hinauslaufen - allerdings dürfte das die ohnehin massive Politikverdrossenheit im ärmsten Land der EU weiter eskalieren lassen. Als einzige dürften davon die Nationalisten von Vasraschdane profitieren.

Obwohl GERB und PP/DB erklärtermaßen euro-atlantisch orientierte Parteien sind, scheint eine gemeinsame Regierungsbildung aktuell eher unwahrscheinlich. Dabei vertreten beide ähnliche politische Positionen, etwa bezüglich einer stärkeren militärischen Unterstützung der Ukraine oder Bulgariens Aspirationen zu Beitritten zur Eurozone oder zum Schengener Raum.

Bei einer erneut scheiternden Regierungsbildung würde die ohnehin schon starke Politikverdrossenheit in Bulgarien eskalieren.

© dpa/Vadim Ghirda

Prowestliche Parteien überworfen

Selbst in Fragen der Wirtschafts- und Energiepolitik bestehen zwischen ihnen keine unüberwindbaren Gräben. Stattdessen waren es bisher eher zwischenmenschliche Unverträglichkeiten, die eine Kooperation beider Parteien verunmöglicht haben.

So wirft der im Juni 2021 mit seiner Koalitionsregierung gescheiterten Ex-Ministerpräsident Kiril Petkov seinem Vorgänger Boiko Borissov vor, in dessen Amtszeit vom Sommer 2009 bis zum Frühjahr 2021 Bulgarien praktisch den Oligarchen überlassen zu haben. So wurde Borrisov im März 2022 gar aufgrund des Vorwurfs der Korruption für vierundzwanzig Stunden in Haft genommen.

Trotz dieser als Erniedrigung empfundenen Schmach war es bisher eher Borissov, der im Vorfeld der Wahl die Möglichkeit einer Zusammenarbeit seiner Partei mit PP/DB zumindest angedeutet hat. Dagegen verwies Petkov bisher darauf, seine Partei sei angetreten, um die von Borissov mitverantwortete Korruption im Lande zu beenden, so dass eine Zusammenarbeit mit ihm auszuschließen sei.

Ob sich die beiden pro-westlichen Parteien bereitfinden werden, ihre persönlichen Animositäten zu überwinden, um Bulgarien aus seiner Stagnation heraus auf den Weg politischer Entwicklung zu führen, ist am Tag nach der Wahl noch kaum abzuschätzen.

Da das Wahlergebnis aber zumindest theoretisch vielfältige Perspektiven bieten, erscheint die Unausweichlichkeit eines unendlichen Karussels aus Wahlen gebannt.

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