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Schulkinder im Sudan leiden unter den Kämpfen.

© AFP/Ashraf Shazly

„Terror in den Herzen“: Wie der Krieg im Sudan die Zukunft von Millionen Kindern zerstört

Unter dem Krieg im Sudan leiden auch die Jüngsten: Schulen sind geschlossen, viele Kinder sind auf der Flucht, die Zukunft ist verbaut. Eine Begegnung mit Betroffenen.

Ein Kind, ein Lehrer, ein Buch und ein Stift – mehr braucht es nicht, um die Welt zu verändern. Das zumindest dachte sich Mohamed Badawi als er im Jahre 2013 die Leitung einer Schule im Sudan übernahm.

Seitdem kümmerte er sich ehrenamtlich um das Bildungsprojekt, das sein Großvater bereits im Jahre 1946 und somit noch vor Ende der britischen Kolonialherrschaft ins Leben rief. „Bildung ist das A und O und öffnet dir die Tür in ein besseres Leben“, sagt der Vorsitzende des Vereins „Initiative zur Bildungsförderung im Sudan“.

Mohamed Badawi sitzt an einem frühsommerlichen Abend im Garten seines Einfamilienhauses am Bodensee, die Vögel zwitschern. Hierhin habe er es nur geschafft, weil er erkannt habe, wie wichtig Bildung ist, sagt der im Sudan geborene 57-Jährige. Daher wollte er im weit entfernten Omdurman, der größten Stadt des Landes, jährlich rund 100 Kindern im Grundschulalter eine Zukunftsperspektive geben.

Doch dann kam der 15. April 2023 – und plötzlich donnerten Kampfjets über das Schuldach. „Die erste Nachricht, die ich an dem Tag bekam, war, dass Granatsplitter in der Schule eingeschlagen sind“, sagt Badawi, der die Schule größtenteils aus der Ferne leitete. Wie es nun weitergehen soll, steht in den Sternen. Der gesamte Betrieb wurde eingestellt, an Unterricht ist nicht einmal zu denken.

Denn das Schulgebäude sei nicht nur in Teilen zerstört, sondern werde auch von den sogenannten Rapid Support Forces (RSF) besetzt und geplündert, erklärt Badawi. Im schlimmsten Fall könnten die Kämpfe die Schule komplett zerstören. Jahrzehntelange Arbeit – sie wäre in Sekundenschnelle dahin.

Der Chef der RSF, Milizenführer Mohamed Hamdan Daglo, liefert sich seit über zwei Monaten einen blutigen Machtkampf mit dem General der regulären Streitkräfte, dem faktischen Regierungschef Abdel Fattah al-Burhan. Nach gemeinsamen Putschen eskalierte Mitte April zwischen den beiden Generalen ein Streit um die Eingliederung der RSF in die reguläre Armee.

Vergangene Woche wurde sogar der deutsche UN-Sondergesandte für den Sudan, Volker Perthes, zur unerwünschten Person erklärt. Experten sehen darin einen Bruch des Völkerrechtes. Zwar kündigte jüngst die ostafrikanische Staatenorganisation IGAD an, direkte Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien führen zu wollen. Ob diese allerdings Aussicht auf Erfolg haben, ist fraglich. Auch Friedensgespräche im saudischen Dschidda blieben bislang ohne erkennbare Ergebnisse.

Während sich die Militärs um die Macht streiten, leidet vor allem die eigene Bevölkerung. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind seit Beginn des Krieges knapp 1,7 Millionen Menschen binnenvertrieben und weitere 530.000 in Nachbarländer geflohen. Knapp 1100 Tote gibt es bereits, die Dunkelziffer dürfte noch deutlich höher liegen. Zudem sind 25 Millionen Sudanesinnen und Sudanesen – über die Hälfte der Bevölkerung – auf internationale Hilfe angewiesen.

19,2
Millionen Kinder im Schulalter sind von den Kämpfen betroffen.

Einer dieser 25 Millionen Menschen ist Hakim Marouf. (Der Name wurde zum Schutz der Person geändert.) Vor dem Krieg arbeitete er für die Schule in Omdurman, seine Tochter hat selbst von dem Bildungsprojekt profitiert und studiert mittlerweile an der Universität.

Marouf hat die Stadt trotz der Kämpfe nicht verlassen. Während des Kontaktes mit dem Tagesspiegel fällt immer wieder das Internet aus, teils für mehrere Tage. Über Whatsapp erklärt er, der „verdammte Krieg“ der Generale sei „Terror in den Herzen der Bürger“. Es gebe Wasser- und Stromausfälle, die Preise für Lebensmittel stiegen ins Unermessliche, hinzu kämen Plünderungen. Um das Viertel gegen Diebstahl zu schützen, habe seine Nachbarschaft sogar eine eigene Patrouille gegründet.

In den umkämpften Landesteilen sind alle Schulen geschlossen. „Ich weiß nur von sehr wenigen Schülerinnen und Schülern, wie es ihnen geht oder wo sie sich aufhalten“, sagt der Vereinsvorsitzende Badawi. Er vermutet, dass ein Großteil in Richtung der ägyptischen Grenze geflohen sei. „Sie haben aber keine Möglichkeit, sich bei mir zu melden und nach Unterstützung zu fragen. Einige haben nicht mal ein Handy.“

Auch schon vor dem Krieg war das Leben im Sudan, insbesondere für junge Menschen, beschwerlich. Im Ranking des Human Development Index (HDI) etwa – der Einkommen, Lebenserwartung und Bildungsniveau miteinander verrechnet – belegt der Sudan Platz 172 von 191 Staaten. Zudem ging vor Kriegsbeginn laut dem UN-Kinderhilfswerk Unicef jedes dritte Kind nicht in die Schule, einer der höchsten Werte innerhalb des Nahen Ostens und Nordafrikas. Von den Kämpfen seien nun alle 19,2 Millionen Kinder im Schulalter in irgendeiner Weise betroffen.

Auch nach Ende der Kämpfe wird regulärer Unterricht in den zerstörten Schulen oft kaum möglich sein.

Ein Sprecher des Entwicklungsministeriums

In einem Land, in dem rund 40 Prozent der Bevölkerung 14 Jahre oder jünger sind, hat dies drastische Folgen für die Zukunft. „Es ist dramatisch, es ist eine Katastrophe. Und ich glaube, es wird noch schlimmer“, fürchtet Badawi. Doch selbst wenn der Konflikt bald enden sollte, müsste er mit seiner Schule in Omdurman „wieder komplett von Null anfangen“.

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) warnt ebenfalls vor langfristigen Kriegsfolgen im Bildungsbereich. „Auch nach Ende der Kämpfe wird regulärer Unterricht in den zerstörten Schulen oft kaum möglich sein. Darüber hinaus sind nach Einschätzung von Unicef viele Kinder und Lehrkräfte traumatisiert – durch Gewalt, Flucht und Vertreibung. Das wird schulisches Lernen und die Entwicklung der Kinder noch länger beeinträchtigen“, erklärt ein Sprecher des Entwicklungsministeriums dem Tagesspiegel.

Deutschland selbst hat die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit dem Sudan bereits seit einem Militärputsch im Oktober 2021 pausiert. Jedoch unterstütze man die Bevölkerung „in Zusammenarbeit mit erfahrenen Organisationen der Vereinten Nationen oder Nichtregierungsorganisationen“, teilte der Sprecher weiter mit. Dazu gehöre beispielsweise der Bau von Schulen oder die Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern.

Sobald der Krieg zu Ende ist, wird das wohl eine der wichtigsten Aufgaben sein, um den Sudan und Millionen von Schulkindern auf die Zukunft vorzubereiten. Dann wird auch Mohamed Badawi wieder loslegen: mit einem Kind, einem Lehrer, einem Buch und einem Stift.

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