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Der 61-jährige Peter Obi ist ehemaliger Banker und Bezirksgouverneur.

© AFP/PIUS UTOMI EKPEI

Krisenstaat Nigeria wählt Präsidenten: Darum fürchten sich die Eliten vor Außenseiter Peter Obi

Nigeria steckt in einer tiefen Krise, zwischen Gewalt, Armut und Korruption. Vor allem junge Menschen wünschen sich eine radikale Veränderung – und setzen ihre Hoffnung auf einen Mann.

Es ist kein typisch afrikanisches Phänomen, sondern auf der ganzen Welt bekannt. In vielen Ländern wird die Politik von alten Männern dominiert. In Afrika gibt es dafür allerdings einen speziellen Namen.

„Big Man Syndrom“ wird es genannt, wenn ein Mann in sehr hohem Alter fast alleine die Geschicke eines Staates bestimmt – so wie in Nigeria der 80-jährige Noch-Präsident Muhammadu Buhari, der schon seit Jahrzehnten in der Politik aktiv ist.

Nun wird in dem westafrikanischen Land, mit 220 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern das bevölkerungsreichste des Kontinents, an diesem Samstag ein neuer Präsident gewählt. Buhari darf laut Verfassung nicht mehr kandidieren.

Wenn wir sagen, wir bekämpfen die Korruption, dann glaubt uns: Wir werden sie bekämpfen!

Peter Obi, Präsidentschaftskandidat

Mit dem „Große-Mann-Syndrom“ könnte deshalb bald Schluss sein in Nigeria. Glaubt man einigen Umfragen, hat derzeit Peter Obi, ein 61 Jahre alter Ex-Banker und ehemaliger Bezirksgouverneur, die größten Chancen gewählt zu werden. Der Kandidat der kleinen „Labour Party“ will die Dominanz von Sozialdemokraten und Konservativen brechen und das starre Zweiparteiensystem beenden, das Nigerias Politik seit Langem lähmt. Wie verlässlich die Umfragen sind, ist zwar unklar. Doch bereits Obis Wahlkampf hat etwas im Land verändert.

Es gibt eine neue Stimmung in Nigeria. Bei seinen Reisen durchs Land füllt Obi die größten Marktplätze, wo sich die Fans dicht um ihr Idol drängen, singen und tanzen. In seinen Auftritten steckt viel Energie. Auf der Bühne ruft er mit lauter, teils heiserer Stimme Sätze ins Mikrofon wie: „Wenn wir sagen, wir bekämpfen die Korruption, dann glaubt uns: Wir werden sie bekämpfen!“

Die Fans des Kandidaten Obi nennen sich „Obidients“, die Gehorsamen.

© REUTERS/Nyancho NwaNri

Obis Reden hören sich ganz anders an als etwa die trägen Vorträge des 70 Jahre alten Bola Tinubu, der für die regierenden Sozialdemokraten antritt und vom scheidenden Präsidenten Buhari unterstützt wird.

Als Kandidat zeigt sich Obi nahbar, nicht als „big man“, er begrüßt kritische Fragen aus dem Publikum. Die Jugend, vor allem die Generation der unter 30-Jährigen, feiert ihn dafür. „Obidients“, die Gehorsamen, nennen sich seine Fans in Anspielung auf Obis Nachnamen. Inhaltlich ist er ein Kandidat der Mitte mit Tendenz zum Marktliberalismus. Der Vater von zwei Kindern gilt als bescheiden und sparsam.

Margaret Obi (r), die Frau des Präsidentschaftskandidaten Peter Obi, mit Hajiya Aisha Baba-Ahmed, Frau von Yusuf Datti Baba-Ahmed, der als Vizepräsident antritt.

© REUTERS/STAFF

Doch hat er realistische Chancen, Nigerias Politik zu verändern? Das Land steckt in einer tiefen Krise. Im Norden terrorisieren islamistische Milizen die Zivilbevölkerung, in der Landesmitte kämpfen Viehhirten und Ackerbauern mit Waffengewalt um das knappe Nutzland. Die Armut der breiten Bevölkerung ist – trotz großer Ölschätze – in Nigeria ein riesiges Problem, genau wie die allgegenwärtige Korruption.

Obi steht für einen Neuanfang, er ist ein politischer Quereinsteiger, war einige Jahre Gouverneur des Bundesstaats Anambra. Allerdings ist der ehemalige Geschäftsmann durchaus Teil des nigerianischen Establishments. Vor seiner politischen Karriere hat er bei verschiedenen Banken gearbeitet.

Kritiker bemängeln, dass sein Name 2021 in den „Pandora Papers“ über Steueroasen auftauchte. In den 1990er-Jahren investierte er in Offshore-Firmen. Auch seien seine „Mega-Events“ in Großstädten wie Lagos in Wirklichkeit nicht so riesig, wie in den sozialen Medien dargestellt, sagen seine Gegner.

220
Millionen Menschen leben in Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas.

Ein reines Online-Phänomen sei Obi aber nicht, auch wenn viele seiner Fans in den sozialen Medien sehr präsent seien, sagt der nigerianische Politikexperte Olumide Abimbola dem Tagesspiegel. „Allerdings erhalten die meisten Nigerianer ihre Nachrichten übers Radio und aus dem Fernsehen.“

Der Sozialdemokrat Bola Tinubu ist der Präsidentschaftskandidat des aktuell regierenden All Progressives Congress (APC).

© AFP/Pius Utomi Ekpei

Das ist ein Problem für Obis Kampagne. Seine zentrale Zielgruppe, die Jugend, ist zwar groß. Der Altersdurchschnitt der Gesamtbevölkerung liegt bei knapp 19 Jahren, die Lebenserwartung bei 60 Jahren. Doch viele der jungen Menschen sind nicht als Wählerinnen und Wähler registriert.

Zudem habe der Katholik Obi im muslimisch geprägten Norden des Landes keine Wählerbasis, sagt Abimbola. Auch könne er sich als „unabhängiger Kandidat“ nicht auf Parteistrukturen in den ländlichen Gegenden stützen. Abimbola glaubt deshalb nicht, dass Obi gewinnt.

Gut möglich ist allerdings, dass Obi seiner bisher eher unbedeutenden „Labour Party“ zu einer Reihe neuer Mandate im Parlament verhilft. Selbst wenn er es nicht in die Stichwahl schafft, könnte er den beiden etablierten Parteien, Sozialdemokraten und Konservativen, Zugeständnisse abverlangen und die Konkurrenz unter Druck setzen.

Das gilt für beide der zwei aussichtsreichsten Kandidaten, für den Sozialdemokraten Tinubu genau wie für den 76 Jahre alten Konservativen Atiku Abubakar. „Wenn Obi sich als guter Verlierer zeigt und dabei bleibt, kann er die beiden anderen Kandidaten ins Schwitzen bringen“, sagt Abimbola. „Er könnte zeigen, dass es möglich ist, das nigerianische Zweiparteiensystem aufzubrechen.“ Es könnte der Anfang vom Ende des „Große-Mann-Syndroms“ in Nigeria sein.

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