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Seit fast drei Monaten demonstrieren Iranerinnen und Iraner gegen das Regime.

© Anonymous photographer/Middle East Images/laif

Irans Führung verliert den Rückhalt: „Für viele Menschen ist klar, dass es kein Zurück mehr geben wird“

Der revolutionäre Prozess im Iran hat nach Einschätzung von Experten längst begonnen. Zwei von ihnen analysieren die Chancen der Freiheitsbewegung und die Einflussmöglichkeiten des Westens.

Trotz aller Gewalt bekommt Irans Staatsmacht die Unruhen im Land nicht unter Kontrolle. Die Unzufriedenen finden immer wieder neue Mittel, gegen Unterdrückung und das islamistische Regime zu protestieren.

Aber es sieht derzeit nicht danach aus, dass die Machthaber nachgeben oder zu Kompromissen bereit sind. Eher scheinen sich die Hardliner endgültig durchzusetzen

Läuft die Zeit für die Herrscher oder gegen sie? Welche Möglichkeiten hat der Westen, um die Proteste zu unterstützen? Zwei Experten analysieren die Lage.


Wie sehr ist das Regime in Bedrängnis?

Cornelius Adebahr: „Dass das Regime es über Monate nicht vermocht hat, die Proteste zu ersticken, ist Ausdruck grundlegender Veränderungen im Land.

Schon jetzt hat die islamische Führung den Rückhalt in weiten Teilen der Bevölkerung verloren, gerade auch außerhalb der Großstädte, wo sie sonst traditionell mehr Vertrauen genießt.

Vielmehr bewirkt die zunehmend auch militärische Repression, vor allem im kurdisch geprägten Nordwesten und in Belutschistan im Südosten, dass sich die Menschen über ethnische und Klassengrenzen hinweg solidarisieren. Die revolutionäre Bewegung hat begonnen.

Schon jetzt hat die islamische Führung den Rückhalt in weiten Teilen der Bevölkerung verloren.

Cornelius Adebahr, Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik

Auch wenn für viele Menschen in Iran klar ist, dass es kein Zurück mehr geben wird – der Weg nach vorne ist noch offen. Es wird darauf ankommen, dass sich wichtige Teile der Wirtschaft, ob die Arbeiter im Ölsektor oder die Händler auf den Basaren, mit den Protesten solidarisieren. Außerdem braucht es Regime-Insider, gerade im vielfältigen Sicherheitsapparat, die aus Eigeninteresse auf Wandel setzen.“

Ali Fathollah-Nejad: „Ein langfristiger revolutionärer Prozess, wie ich ihn einer umfassenden Studie für die Brookings Institution untersucht habe, hat bereits vor einem halben Jahrzehnt mit den landesweiten Protesten zur Jahreswende 2017/18 begonnen, die ihre Fortsetzung in jenen vom November 2019 fanden.

Die Unterschicht als soziale Basis der Islamischen Republik ist maßgeblich weggebrochen.

Ali Fathollah-Nejad, Iran-Experte an der American University of Beirut

Diese haben gezeigt, dass die Unterschicht als soziale Basis der Islamischen Republik maßgeblich weggebrochen ist. Diesmal sehen wir einen schichtenübergreifenden Aufstand – mit Frauen, der Jugend und Studierenden an vorderster Front.

Das Regime ist zwar in Bedrängnis. Doch wird es erst wahrhaftig gefährdet, wenn wir eine quantitative und qualitative Ausbreitung der Proteste sehen.

Sprich: dass auch jene Teile der Mittelschicht, die einen gewissen Lebensstandard aufgebaut haben, sich vermehrt den Straßenprotesten anschließen und die Arbeiterschaft durch permanente Streiks den revolutionären Prozess ökonomisch unterfüttert.

Hinzu kommen notwendige Risse im Sicherheitsapparat, die bislang aber kaum zu erkennen sind.

Was allerdings Teheran außerordentliche Sorgen bereitet, ist die beispiellose internationale Aufmerksamkeit auf die Islamische Republik und ihre Unterdrückung der eigenen Bevölkerung, was einen Prozess der Delegitimierung von außen angestoßen hat.“


Was kann der Westen tun, um die Proteste zu unterstützen?

Fathollah-Nejad: „Sanktionierung der Machtelite – also auch der politisch Verantwortlichen und nicht nur der direkt an der Niederschlagung Beteiligten – und der Oligarchie im Westen.

Der Westen wäre gut beraten, der Islamischen Republik auf internationalem Parkett keinen Anschein von Legitimität zu verleihen.

Ali Fathollah-Nejad, Iran-Experte an der American University of Beirut

Angesichts des breiten Legitimationsverlusts des Regimes im Inneren wäre der Westen gut beraten, der Islamischen Republik auf internationalem Parkett keinen Anschein von Legitimität zu verleihen. All dies würde den Protesten neues Leben einhauchen.

Kurzum: eine Umkehr der De-Facto-Politik der ,autoritären Stabilität‘ gegenüber Teheran. Denn ein zuvorderst auf Gewalt setzendes, unreformierbares Regime kann keinerlei Stabilität garantieren.

Es bedarf zudem einer Neuaufstellung der Iran-Strategie, die Abstand nehmen sollte vom nahezu alleinigen Fokus auf den Atomdeal. Denn dieser gewährt Teheran einen strategischen Vorteil, indem es mit der Politik der nuklearen Eskalation den Takt vorgibt.

Stattdessen sollte Irans Umgang mit Menschenrechten und seine aggressive Regionalpolitik ins Zentrum rücken. All dies sollte nicht nur eingebettet sein in einen europäischen, sondern auch transatlantischen Rahmen, den die Islamische Republik erst ernst nehmen würde.“

Die paramilitärischen Basidsch-Milizen werden vom Regime eingesetzt, um die Aufstände niederzuschlagen.

© Foto: Imago/Iranian Supreme Leader S Office

Adebahr: „Zunächst einmal geht es um Ausgrenzung und Aufklärung. Personen und Organisationen, die den staatlichen Terror stützen, dürfen nicht von europäischen Freiheiten profitieren, weder individuell (durch Reiseverbote) noch finanziell (durch wirtschaftlichen Ausschluss und das Einfrieren von Vermögen).

Daneben müssen internationale Rechtsmechanismen genutzt werden, um die Verbrechen des Regimes zu dokumentieren und aufzuarbeiten. Denn wer für Tötung, Folter und Vergewaltigung verantwortlich ist, muss wissen, dass er (oder sie) früher oder später belangt wird.

Was nicht hilft oder sogar eher schadet, sind der Abbruch der ohnehin festgefahrenen Atomverhandlungen oder gar der diplomatischen Beziehungen.

Cornelius Adebahr, Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik

Hierfür müssen Staaten wie Deutschland auch gezielt jene unterstützen, die mit größtem Risiko Nachforschungen anstellen und Beweise sichern. Deutschland und Europa müssen versuchen, durch nachdrückliches, aber umsichtiges Handeln Einfluss im Sinne der Iranerinnen und Iraner zu nehmen, die ihr Leben für die Freiheit riskieren.

Was nicht hilft oder sogar eher schadet, sind der Abbruch der ohnehin festgefahrenen Atomverhandlungen oder gar der diplomatischen Beziehungen.

Ersteres hindert das Regime nicht am weiteren Niederschlagen der Proteste, sondern gibt ihm zusätzlich freie Hand beim Nuklearprogramm – was das Risiko eines regionalen Kriegs dramatisch erhöht.

Letzteres nimmt den Staaten sowohl eine wichtige Informationsquelle als auch die noch verbleibenden Einflussmöglichkeiten, gerade wenn es hinter den Kulissen der Islamischen Republik Bewegung geben sollte.“

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