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Tschechiens Ministerpräsident Petr Fiala

© AFP/John Thys

Inmitten der größten Krise: Was Tschechien während seiner EU-Ratspräsidentschaft erreicht hat

Zum Jahresende gibt Prag den Vorsitz ab. Welches Erbe findet Schweden vor? Drei Experten blicken teils „überrascht“ auf die vergangenen sechs Monate.

Mit dem Jahreswechsel übergibt Tschechien den Vorsitz im Europäischen Rat, dem Gremium der nationalen Regierungen, an Schweden.

Was hat die Regierung in Prag in sechs Monaten EU-Präsidentschaft erreicht? Welche Herausforderungen müssen die Nachfolger in Stockholm meistern? Drei Experten analysieren die Lage.


Wie ist die Bilanz des tschechischen EU-Vorsitzes?

Milan Nič ist Experte für europäische Zukunftsfragen bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Er meint: „In Europas größter sicherheitspolitischer Krise seit Jahrzehnten ist Tschechien eine überraschend reibungslose, aktive und kompetente Präsidentschaft gelungen.

Den wohl größten Erfolg erzielte Prag daheim: Medien und Bürger befassten sich ernsthaft mit EU-Fragen. 

Milan Nič, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)

Sie konzentrierte sich auf Hilfe für die Ukraine, die Energieversorgung, das „Fit for 55“-Paket zur Reduzierung der Emissionen und den Rechtsstaatskonflikt mit Ungarn.

Die Reform des Emissionshandels hatte ihnen der überambitionierte Vorgänger Frankreich hinterlassen, der zu viele Probleme in zu kurzer Zeit lösen wollte und die EU-Partner mit endlosen Sitzungen irritierte. Tschechien brachte mit pragmatischem Herangehen Ruhe in die überdehnte EU-Maschinerie und belebte die Handelspolitik neu.

Den wohl größten Erfolg erzielte Prag daheim: Medien und Bürger befassten sich ernsthaft mit EU-Fragen. Eine willkommene Wende in einem Land, das zuvor zu den Europa-skeptischsten gehörte.“

Roland Freudenstein leitet das Brüsseler Büro des Thinktanks Globsec. Seine Analyse: „Mit Blick auf Covid hat sich die tschechische Ratspräsidentschaft in erster Linie um die Impfstoffbeschaffung gekümmert.

Tschechien selbst verfolgte eine strengere Anti-Covid-Politik als die meisten Nachbarstaaten. Auf das Infektionsgeschehen scheint das allerdings wenig Einfluss gehabt zu haben.

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Die großen Herausforderungen des EU-Vorsitzes lagen in der Sicherheits- und Energiepolitik. Das gilt vor allem für die stetige Verschärfung der Russland-Sanktionen (Gaspreisdeckel). Noch wichtiger war die direkte Hilfe für die Ukraine – militärisch, wirtschaftlich, humanitär. Und schließlich musste eine Energiekrise im Winter verhindert und einer wirtschaftlichen Rezession vorgebeugt werden.”

Gunnar Hökmark leitet den schwedischen Think Tank Stockholm Free World Forum. Er sagt: „Am wichtigsten waren die Gemeinschaftspolitik und die Preisdeckel mit Blick auf den Öl- und Gasmarkt.

Die gemeinsame Gasversorgung mit einem Solidaritätsmechanismus ist ein Erfolg, bisher fehlt jedoch eine gemeinsame Hilfsstrategie, wie Industrie und Haushalte die extremen Preissteigerungen bewältigen. Und ebenso eine gemeinsame Antwort auf das Subventionspaket der USA gegen die Inflation.

Fortschritte gab es bei Handelsverträgen, die konkretesten im Bereich der Dienstleistungen, in der Klima- und Umweltpolitik (COP 27) sowie bei einer nachhaltigen Batterieproduktion, die entscheidend ist für E-Mobility in Europa.“  


Vor welchen Aufgaben steht Schweden?

Gunnar Hökmark: „Schweden muss koordinierte Waffenlieferungen an die Ukraine sichern und mit einer gemeinsamen Energiepolitik die Wirtschaft vor zu hohen Preisen schützen, aber auf eine Weise, die den Binnenmarkt stärkt und Fragmentierung verhindert.

Es muss eine langfristige Politik der Finanzhilfe für die Ukraine entwickeln und einen Beitrittsprozess, der für die Ukraine glaubwürdig ist, aber ebenso für Russland und andere Länder der östlichen Partnerschaft.

Die strategische Allianz mit den USA muss in allen Bereichen ausgebaut werden, voran in den digitalen Märkten und in digitalen Fragen von geopolitischer Bedeutung.

Schweden muss zudem darauf achten, dass die EU ihre Wettbewerbsfähigkeit stärkt und das Antinflationsprogramm der USA nicht mit eigenen Subventionen beantwortet, die die europäischen Industrien abhängig von Staatshilfe machen. Auch der ,Green Deal‘ muss in Einklang mit Markt und Wettbewerb gebracht werden. Und Schweden sollte die Handelsverträge zum Abschluss bringen, die Tschechien vorbereitet hat.“

Roland Freudenstein: „In den drei Kernbereichen – Sanktionen, Energie, Rezession verhindern - muss Schweden weiter arbeiten. Russland setzt seinen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine und den hybriden Krieg gegen die Demokratie und den gesamten Westen fort. Die Wirtschaft ist noch nicht über den Berg.

Außerdem muss Stockholm einen Handelskrieg mit den USA abwenden und die China-Politik robuster gestalten. Es gibt viel zu tun, aber Schweden scheint das alles kompetent und mit starken Prinzipien anzupacken.”

Milan Nič: „Zu den Top-Aufgaben, die Schweden von Tschechien übernimmt, zählen die fehlenden Fortschritte beim Asyl- und Migrationspakt. Zweitens der bisher gescheiterte Beitritt Rumäniens und Bulgariens zum Schengenraum (danke, Österreich!). Und drittens mehr Bewegung bei der Revision der Beitrittsprozesse, die wegen Zeitmangel und zu geringer deutscher Unterstützung nicht vorankommen.“

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