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Einst offene EU-Staaten erhöhen die Hürden für flüchtende Menschen.

© Reuters/Marko Djurica

Abschieben, einzäunen, aufnehmen: Wie die Europäische Union mit Flüchlingen umgeht

London nutzt den Brexit nun für eine harte Flüchtlingsabwehr. Auch die EU verschärft seit Jahren die Regeln. Ein Blick auf die Hauptankunftsländer im Süden, den einst offenen Norden und ein Land, in dem doppelte Standards gelten.

Kein Asyl mehr für Bootsflüchtlinge, die sofortige Abschiebung – womöglich nach Ruanda – aller, die illegal ins Land reisen müssen. Großbritannien ist im Begriff, das bisher schärfste Asylgesetz einer westlichen Demokratie zu verabschieden. Der Entwurf wird mit internationalem Recht vermutlich schwer umzusetzen sein: Auch das Vereinigte Königreich die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) unterschrieben.

Dort ist unter anderem festgelegt, dass niemand in ein Land zurückgeschickt werden darf, wo ihm Verfolgung droht. Auch das Recht Geflüchteter auf Zugang zu Gerichten steht darin. London wie alle 27 Mitgliedsländer der Europäischen Union haben die GFK unterschrieben. Doch viele versuchen, sie gar nicht erst anwenden zu müssen, indem sie Geflüchtete fernzuhalten versuchen.

Die Staaten am Mittelmeer steigern die Hürden für ankommende Migrant:innen kontinuierlich oder schließen Rettungshäfen. Polen behandelt Kriegsgeflüchtete je nach Herkunft mit zweierlei Maß. Und in Schweden zeigt sich die veränderte Haltung der „Willkommenskultur“ der Europäischen Union besonders deutlich.


Griechenland: Hohe Hürden

Nach den Parlamentswahlen 2019 erließ die neue konservative Regierung in Athen ein extrem verschärftes Asylgesetz. Es weitete die Liste der Fälle aus, in denen die Behörden einen Asylantrag ohne weitere Prüfungen als „offensichtlich unbegründet“ ablehnen konnten, und verkürzte die Antragsfristen. Die Dokumentationspflichten für Geflüchtete schraubte das Gesetz auf ein Maß hoch, das sie nach Meinung des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) vernünftigerweise nicht schaffen konnten – und sie so von vornherein von einem ohnedies schwer zugänglichen Asylverfahren ausschloss.

Gleichzeitig fiel auch die Anerkennungsrate derer, die all diese Hürden nahmen, bereits im ersten Jahr von zuvor 55,9 auf 33 Prozent. Alle Geflüchteten, die unter das EU-Türkei-Abkommen fallen, dürfen ihre Ankunftsinseln in der Ägäis nicht verlassen, was zu jener Überfüllung und katastrophalen Lebensbedingungen etwa im Lager Moria auf Lesbos – dem größten und zehnfach überbelegten Lager Europas - führte, das Flüchtlinge im September 2020 niederbrannten.


Italien: Harte Strafen

Obwohl in Italien besonders viele Flüchtlinge ankommen, hat das Land als einziges EU-Mitglied keine einheitliche Asylgesetzgebung. Mehr als 20 Zentren im Land versorgen Neuankömmlinge nach ihren Möglichkeiten – die Finanzmittel fuhr 2018 der damalige Innenminister Matteo Salvini von der rechtsradikalen Lega herunter – und im Zusammenspiel mit Zivilgesellschaft und kirchlicher Wohlfahrt, die aber die Lücken der staatlichen Versorgung nicht ausgleichen können.

Schiffbruch überlebt: Geflüchtete bei der Ankunft auf Sizilien.
Schiffbruch überlebt: Geflüchtete bei der Ankunft auf Sizilien.

© Reuters/Antonio Parrinello

Hilfsorganisationen klagen, dass der Zugang zum Asylverfahren und menschenwürdiger Unterbringung nicht garantiert und oft unmöglich ist.

War man in Italiens Politik vor zehn Jahren noch stolz auf die Rettungsmission für Schiffbrüchige „Mare Nostrum“, damals wurden über 150.000 Menschen gerettet, wird seit 2016 Seenotrettung stetig erschwert. Die sozialdemokratische Regierung unter Paolo Gentiloni verschärfte die Regeln für NGO-Rettungsschiffe und reduzierte die Landungen in Italien mit Hilfe libyscher Milizen und Regierung zeitweise um 80 Prozent.

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Geflüchtete sind laut UNHCR 2023 allein auf Sizilien angekommen.

Salvini schloss später zeitweise die Häfen. Die jüngste Schiffskatastrophe Ende Februar in Kalabrien mit vermutlich hundert Toten brachte zumindest eine rhetorische Veränderung: Zwei Minister der Regierung Meloni versprachen „humanitäre Korridore“ und legalisierte Arbeitsmigration. Konkret sind bisher nur härtere Strafen gegen Fluchthelfer geplant.


Spanien: Extra Zäune

Spanien und Flucht: Da sind die Bilder von hohen Zäunen rings um die nordafrikanischen Exklaven Ceuta und Melilla sofort präsent. Doch wer den Weg ins Land schafft, hat durch das Asylgesetz von 2009 viele gesetzlich verbriefte Rechte: Es verschafft Schutz vor Ausweisung bis zum Abschluss des Asylverfahrens, eine „würdige“ Unterstützung zum Lebensunterhalt und medizinische Versorgung.

Endlich Sicherheit? Ein Vater mit seinem Sohn, nachdem er gemeinsam mit anderen Geflüchteten von der spanischen Nichtregierungsorganisation Pro Activa Open Arms gerettet worden ist.
Endlich Sicherheit? Ein Vater mit seinem Sohn, nachdem er gemeinsam mit anderen Geflüchteten von der spanischen Nichtregierungsorganisation Pro Activa Open Arms gerettet worden ist.

© dpa/Javier Fergo

Fürs Verfahren haben Asylsuchende kostenlose Rechtsberatung und die Hilfe von Übersetzer:innen; sie können ihre Akten jederzeit einsehen und ihr Antrag wird dem UN-Flüchtlingshilfswerk gemeldet. Nach sechs Monaten Aufenthalt im Land dürfen sie arbeiten. 

Hilfsorganisationen sehen unter anderem die Zeit bis zur offiziellen Registrierung eines Asylantrags für problematisch. In dieser Zeit, manchmal mehrere Monate, haben Asylsuchende kein nachweisbares Aufenthaltsrecht. Und: Auch Spanien versucht, Schutzsuchende möglichst fernzuhalten, unter anderem durch ein Rücknahmeabkommen mit Marokko.


Malta: Ohne Rechte

Malta ist dem afrikanischen Nachbarkontinent noch näher als es Italien ist und daher für viele Flüchtende ihr erstes europäisches Ziel. Vor acht Jahren gab sich das kleine EU-Mitgliedsland mit seiner halben Million Einwohner:innen eine „Strategie für die Aufnahme von Asylsuchenden und irregulären Migranten“, die jedoch schon drei Jahre später angesichts eines Rekordhochs von 1445 Ankünften – im folgenden Jahr 2019 waren es dann 3406 – unter Stress geriet.

Die Aufnahmezentren erlauben Aufenthalt seither nur noch nach verfügbarem Platz; Familien dürfen ein Jahr bleiben, alleinstehende Männer ein halbes Jahr – beides unabhängig vom Stand ihrer Asylverfahren. Sie fallen, selbst wenn sie Arbeit und Wohnungen finden, danach in einen Zustand von Quasi-Rechtlosigkeit. Und die Zahl derer, die als asylberechtigt anerkannt werden, ist extrem gering: 2021 fiel sie auf ein Allzeittief von nur acht Prozent, keine einzige Ablehnung wurde in zweiter Instanz zurückgenommen.

Malta unternimmt keine Retttungsaktionen in der maltesischen Rettungszone südlich von Lampedusa.

Ecre, European Council on Refugees and Exiles, über Informationen von NGOs

Obwohl die Zahlen stark gefallen sind, auf 832 Menschen 2021 und noch einmal gut halb so viele im letzten Jahr, setzt die maltesische Regierung ihre Abwehrpolitik fort. Ecre, der Zusammenschluss von 140 europäischen, in der Migrationspolitik engagierten NGOs, berichtet, dass Malta seine eigene Rettungszone südlich der italienischen Insel Lampedusa (SAR) nicht versorgt und Boote sogar daran hindert, dort einzufahren. Der Inselstaat lässt Geflüchtete auch kaum mehr anlanden, vor allem wenn Nichtregierungsorganisationen sie im Meer aufgenommen haben.


Schweden: Scharfe Wende

In Skandinavien ist die Willkommenskultur mit der Machtübernahme der rechtskonservativen Minderheitsregierung im vergangenen Herbst nun endgültig Geschichte. Bereits nach der großen Fluchtbewegung 2015 verschärfte Schweden seine Asylregeln. Es beschränkte schon damals den Familiennachzug, erteilte vermehrt befristete Aufenthaltsgenehmigungen und schob verstärkt in „sichere Drittländer“ ab.

Die neue Regierung unter Ulf Kristersson sendet nun das nächste Signal der Härte. Ein Großteil des Koalitionsvertrags konzentriert sich auf den im Wahlkampf versprochenen „Paradigmenwechsel“ der schwedischen Migrationspolitik – und stammt mehrheitlich aus der Feder der rechten Schwedendemokraten.

Ab 2024 sollen Aufenthaltsgenehmigungen darüber hinaus ausnahmslos befristet und bereits erteilte Aufenthaltstitel leichter entzogen werden können. Grundsätzlich soll Schweden bei der Asylpolitik nicht großzügiger sein als die Europäische Union, Migration auf ein „absolutes Minimum“ beschränkt werden. Die Anzahl neuer Geflüchteter soll in den kommenden Jahren um mehr als 80 Prozent gesenkt werden. Selbst der mögliche Entzug verschiedener Sozialleistungen wird in der aktuellen Legislatur „überprüft“.

Für Aufsehen sorgte Schwedens Regierung auch mit der schwammigen Formulierung, dass Nicht-Schwed:innen mit „mangelhaftem Charakter“ möglichst schnell abgeschoben werden sollen. In Stockholm zählt man dazu neben allgemeinen Regelverstößen auch Prostitution oder Drogenmissbrauch.


Polen: Zweierlei Maß

Wehrte sich Warschau noch 2015 und 2016 heftig gegen die Aufnahme oder eine gerechtere Verteilung syrischer Kriegsgeflüchteter in Europa, zeigt sich Polen seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine von seiner humaneren Seite. Über 1,5 Millionen Menschen hat das Land seit Februar 2022 aufgenommen – mehr geflüchtete Ukrainer:innen gibt es in keinem europäischen Land.

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Millionen Geflüchtete aus der Ukraine hat Polen seit Beginn des Krieges aufgenommen

Um das stemmen zu können, führte die polnische Regierung im vergangenen Sommer UNHCR zufolge eine „vollständig digitale Aufenthaltserlaubnis“ ein. Ausgestellt wird sie allen ukrainischen Staatsbürger:innen, die die polnisch-ukrainische Grenze am oder nach dem 24. Februar 2022 überschritten haben. Mit dem elektronischen Dokument können sich die Ukrainer:innen frei im Schengenraum bewegen.

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Dass es in Warschau aber nicht zu einem grundlegenden Wechsel der Asylpolitik gekommen ist, zeigt die Situation an der östlichen EU-Außengrenze. Schutzsuchende, die über Belarus einreisen wollen, versucht Polen mit dem Bau eines 400 Kilometer langen Grenzzauns aufzuhalten – finanziert durch EU-Gelder. Seit 2021 gab es hier Zehntausende illegale Pushbacks.

Im selben Jahr verschärfte das Land sein Ausländerrecht. Seitdem dürfen die Behörden jeden Antrag auf internationalen Schutz ablehnen, wenn die Antragssteller:innen direkt nach einem unerlaubten Grenzübertritt gefasst worden sind. Die Vereinten Nationen kritisierten das Gesetz damals als „Untergrabung des Asylrechts“.

Der UN-Sonderberichterstatter Felipe González Morales lobte Warschau im Sommer zwar für seine Solidarität mit ukrainischen Geflüchteten, ermahnte das Land aber zugleich, die gefährliche Praxis der illegalen Pushbacks an der Grenze zu Belarus zu beenden.

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